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Die Huren des Apothekers

Die Huren des Apothekers

Titel: Die Huren des Apothekers
Autoren: Tatjana Stöckler
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Räuber?«
    »Galgenvögel, Leichenschänder«, schimpfte der
Henker. »Die Stadtväter weigern sich, genug Geld für die Bewachung
der Richtstätte rauszurücken. Zweimal am Tag nur schlendert die
Stadtwache vorbei, das sieht das Lumpenpack von Weitem und gibt
Fersengeld! Gleich drauf lungert’s wieder herum.«
    »Aber was gibt es hier zu stehlen?«, entfuhr es
Luzia.
    Mit einem Grinsen trat der Große zurück, hob
seinen Knüppel und schlug ihn leicht gegen den Arm des Gehenkten,
der dadurch wieder ins Trudeln kam. »Die Hände schneiden sie ihnen
ab, den armen Sündern.«
    Luzias Blick verfing sich wieder am nackten
Armstumpf. Tatsächlich, bei genauerem Hinsehen sah die Wunde aus,
als sei sie erst nach dem Tode zugefügt worden. Fransig hingen
Hautfetzen herab, die Knochen schimmerten bläulich. Ein Henkersbeil
hinterließ nicht diese Verwüstung. Ein Scharfrichter brannte die
durch eine scharfe Klinge verursachte Wunde sorgfältig aus, denn der
Delinquent sollte doch nicht an seiner Strafe zu Tode kommen. Oft
genug hatte Luzia solche Stümpfe sehen müssen.
    Bevor sie einen klaren Gedanken fassen konnte,
rumpelte es hinter dem Henker und er trat aus dem Weg. Das Pferd
mühte sich ab, unter den Peitschenhieben des Kutschers den Wagen das
letzte Stück den Hügel hinaufzuziehen. Der Grobian auf dem
Kutschbock zeigte in einem breiten Grinsen seine zerfressenen Zähne.
»Frische Luft genug für die Damen?«, gackerte er. Sein einladend
ausgestreckter Arm wies auf die Kabine. »Hüpft rein, Ihr
Hochwohlgeborenen, dass ich die Verrichtungen meiner Herrin erledigen
kann!«
    Magdalene stemmte die Hände in die Hüften.
»Derzeit bin ich deine Herrin, du grober Klotz! Den Weg verfehlen
und es dann mir anlasten? Wer glaubst du, wer du bist?«
    Immer wieder fand Luzia es erstaunlich, wie die
bescheidene Magdalene so primitive Kerle überraschte, wenn sie
energisch wurde. Aus verächtlichem Grinsen wurde eine dümmliche
Miene mit weit aufgerissenen Augen, bis der Flegel seinen Kopf einzog
und das Spiel seiner Zehen beobachtete, die aus den Schuhen schauten.
Nach kurzer Bedenkzeit sprang der Spießgeselle vom Bock, wobei er
ein Päckchen herunterriss, und beeilte sich, den Frauen den Schlag
zu öffnen. Hoheitsvoll stolzierte Magdalene an ihm vorbei und stieg
wie eine Königin ein. Der Anblick des devoten Knechtes belustigte
Luzia sosehr, dass sie ihr nicht gleich folgen konnte, ohne in lautes
Lachen auszubrechen, also zwinkerte sie stattdessen dem Henker zu,
bevor sie ihrer Schwägerin hinterherhuschte. Aus dem Wagen streckte
sie den Kopf heraus und rief den Kutscher an. »Fahr diesmal
langsamer! Wir tragen keine Milch bei uns, die gebuttert werden
soll!«
    Der Rüpel brachte sogar eine halbwegs
ausreichende Verbeugung fertig. Bevor sich der Vorhang schloss,
bemerkte Luzia, wie er das in schmuddeliges Tuch verpackte Bündel
aufhob, das bei seinem Sprung vom Bock gefallen war. Die Schnur löste
sich, als er es einsteckte. Luzia erkannte im Inneren schwarz
umrandete Fingernägel. Gerade hatte Luzia sich gefreut, aus dem
Todesgestank herauszukommen, da spürte sie schon wieder Galle ihre
Kehle emporsteigen. Krampfhaft schluckte sie und lehnte sich zurück.
Sogleich setzte sich die Kutsche wieder in Bewegung.
    »Was ist dir, Luzia? Du bist weiß wie eine
Wand.«
    Zaghaft wehrte Luzia die ihre Wange streichelnde
Hand Magdalenes ab. »Nichts, es geht schon. Der Kutscher nahm dem
Gehenkten die Hand«, flüsterte sie.
    Magdalene runzelte die Stirn. »Nein, unmöglich.
Er hätte uns auf dem Weg überholen müssen. Dabei hat er doch das
Rad gewechselt.«
    Das sah Luzia ein. »Dann hat er sie gekauft von
den Spitzbuben, die der Henker verjagt hat.«
    »Aber was will er mit einer abgeschnittenen Hand
anfangen?«
    Luzia zuckte die Schultern. Warum sollte sie die
Jungfer ängstigen mit dem Aberglauben der Diebesgilde?
    Bitte, Magdalene ,
sagte sie still vor sich hin, finde einen
Kutscher, der dir gefällt, damit wir nicht weiter diesen Jerg
ertragen müssen . Erleichtert stellte sie
fest, dass nach dem Wenden auf dem Richtsberg nur noch frische Luft
in die Kutsche drang. Luzia sollte sich bemühen, dieses Erlebnis zu
vergessen, denn es brachte kein Glück, wenn man auf dem Markt Stoffe
für das Neugeborene mit Übelkeit im Bauch aussuchte.
    ---
    Mit einem Grinsen sah Frank der Kutsche hinterher.
Die alte Jungfer hatte ja ganz schön Haare auf den Zähnen! Nicht
jeder wagte solche Widerworte einem missgelaunten Bären wie dem
Kutscher
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