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Die Hure Babylon

Die Hure Babylon

Titel: Die Hure Babylon
Autoren: Ulf Schiewe
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zögerten gelegentlich, um die Witterung zu prüfen, fanden dann untrüglich zur unsichtbaren Spur zurück, die seit geraumer Zeit das Tal verlassen hatte und in dichtbewachsene Höhen führte.
    »Dachte ich’s mir«, knurrte der alte Gustau, Wildhüter von Rocafort. »Hockt da oben in den Höhlen.«
    Eine gleißende Wintersonne zwang ihn, die Lider zusammenzukneifen. Sein Blick wanderte über die Bergkuppe, wo kalkweiße Felsen aus den dunklen Wipfeln der immergrünen Buchsbäume und Steineichen ragten.
    »Bist du sicher?«, fragte Raol, sein Herr.
    »Gibt nirgendwo bessere Verstecke.«
    Gustau nahm die Kappe ab und wischte den Schweiß von der Stirn. Er war wie die Hundeführer zu Fuß unterwegs. Die gewaltige Hakennase und der graue, zottelige Schnauzbart darunter waren die auffälligsten Merkmale in diesem wettergegerbten, von Falten übersäten Gesicht, das Arnaut besser kannte als sein eigenes. Wie oft hatte er nicht als Junge den Wildhüter begleitet, der mehr mit Tieren und Bäumen sprach als mit den Menschen.
    »Dann lassen wir besser die Pferde hier«, sagte Arnaut. »Ab jetzt heißt es klettern.« Er ließ sich aus dem Sattel gleiten und warf Jori, seinem jungen Reitknecht, die Zügel zu. »Pass auf die Gäule auf, bis wir zurück sind.«
    Sein Onkel Raol und die beiden Wachleute von der Burg stiegen ebenfalls von den Pferden. Sie ließen ihre warmen Umhänge zurück. Der Weg zur Bergkuppe würde schweißtreibend genug werden, trotz des kalten Winterwetters. Nur ein paar Wasserschläuche und die Schwerter behielten sie bei sich.
    Die Hunde zogen ihre Führer über kaum erkennbare Wildpfade den Berg hinauf. An manchen Orten war es steil und unwegsam. Die Männer mussten sich durch Dornen und Gestrüpp zwängen, stolperten über loses Geröll, zogen sich an den harten Strünken der Buchsbäume empor oder nutzten zähe Wurzelstränge als Stufen. Immer bergauf, über Lichtungen voll winterbleichem Kraut und mit Rauhreif überzogenen Beerensträuchern, über steile Felshänge, wo nur Krüppelkiefern gediehen und alter Schnee in den Spalten lag.
    An einer Stelle gebärdeten sich die Hunde wie toll, schnüffelten im verwelkten Gras, hoben erregt die Köpfe und schlugen an. Überlaut hallte ihr Gebell in der Stille des Berges, durchsichtige Atemwölkchen aus den Kehlen vergingen im Licht der Sonne.
    »Er muss verwundet sein«, meinte einer der Hundeführer und deutete auf ein paar rote Tropfen, die an einem Grashalm hingen. Sie hatten auch zuvor schon Blutspuren gefunden.
    Gustau beugte sich vor. »Noch frisch«, murmelte er.
    Senher
Raol atmete heftig, Schweiß perlte auf seiner Stirn. »
Putan,
ich werde zu alt für so was«, fluchte er.
    Raol de Montalban,
castelan
von Rocafort und Herr über das ganze Tal, war ein hochgewachsener Mann in den frühen Fünfzigern. Silberne Strähnen zogen sich durch dunkles Haar, das ein schlankes Gesicht mit harten Zügen rahmte. Die Familienähnlichkeit zwischen ihm und Arnaut war unverkennbar, auch wenn Raols Miene meist verschlossen, ja fast grimmig wirkte, so dass er manchem, der ihn nicht näher kannte, Furcht einflößen konnte. Er zog ein wenig das Bein nach. Eine alte Wunde aus den Jahren in Outremer, einer Zeit in seinem Leben, über die er hartnäckig schwieg.
    Auch Arnaut war es beim Aufstieg warm geworden, doch sein Atem ging ruhiger, denn er war nicht einmal halb so alt wie sein Oheim und durch tägliche Waffenübungen besonders gut bei Kräften.
    »Da, trink«, lachte er und reichte ihm den Wasserschlauch. Raol erfrischte sich in langen Zügen und wischte dann mit dem Ärmel den Schweiß vom Gesicht.
    Wegen Jaufrés Krankheit war Arnaut schon seit Wochen auf Rocafort. Er liebte seinen Großvater und wollte zur Hand sein, falls es mit ihm zu Ende gehen sollte. Obwohl der alte Herr sich in den letzten Tagen ein wenig erholt hatte, musste man in seinem Alter mit dem Schlimmsten rechnen.
    Heute Vormittag, Arnaut sattelte gerade sein Pferd für den täglichen Ausritt, waren sie gekommen, ihn zu holen. Einer sei erschlagen worden, man müsse sich beeilen, den Flüchtigen zu fangen. Mehr aus Langeweile hatte er sich ihnen angeschlossen.
    »Wie heißt der Mann eigentlich?«, fragte er.
    »Loris.« Einer der Wachmänner, ein vierschrötiger Kerl, drehte sich zu ihm um. »Leibeigener Bauer. Trinkt gern über den Durst. Dann kann er seinen Zorn nicht beherrschen.«
    »Hatte Pech in letzter Zeit«, fügte der andere Kriegsknecht hinzu. »Vor zwei Jahren hatten wir eine
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