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Die Hüterin des Schattenbergs

Die Hüterin des Schattenbergs

Titel: Die Hüterin des Schattenbergs
Autoren: Random House
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sagen.
    Jemina nahm ihr Paddel zur Hand, sagte aber nichts. Obwohl sie sich große Mühe gab, nicht an das zu denken, was kommen würde, ließ sich die Sorge um die bevorstehende Prüfung nicht länger verdrängen. A uf dem Fluss hatte sie sich noch damit beruhigen können, dass der Nebelsee noch weit entfernt war. Nun aber hatten sie ihn erreicht. Die Prüfung lag zum Greifen nahe vor ihr und sie spürte, wie ihre A ufregung bei jedem Schlag mit dem Stechpaddel wuchs. Um sich abzulenken, hielt sie nach dem Platz am Ufer A usschau, an dem das T reffen der Hüter stattfinden sollte.
    Schon der Gedanke daran ließ ihr Herz heftig pochen. Endlich würde sie die neun anderen Hüter und deren Eleven zu Gesicht bekommen, die sie bisher nur aus Eftas Erzählungen kannte, und am eigenen Leib erfahren, was es bedeutete, T eil des Zirkels zu sein.
    Doch die Ungewissheit darüber, was für eine Prüfung sie erwartete, dämpfte ihre V orfreude, und das mulmige Gefühl in der Magengegend wollte nicht verschwinden. Seit Jemina erfahren hatte, dass sie die Prüfung bald ablegen sollte, versuchte sie, mehr über die Novizenprüfung zu erfahren, aber Efta hüllte sich beharrlich in Schweigen. W er führte die Prüfung durch? Hätte sie sich vorbereiten müssen? W aren die Prüfungen gefährlich? W as geschah, wenn sie versagte? Hunderte Fragen schwirrten ihr durch den Kopf, während die Barke über das ruhige W asser des Sees glitt. Fragen, die sie Efta wieder und wieder gestellt hatte und die diese immer nur mit einem Lächeln oder den W orten: »Hab Geduld«, beantwortet hatte.
    »Du wirst nicht versagen«, richtete Efta das W ort erneut an sie, als könnte sie Jeminas Gedanken lesen. »Die Prüfung ist schwer, aber du bist stark. Sei einfach du selbst und es wird alles gut gehen.«
    Jemina schaute sich verwundert um. Mit wenigen W orten hatte Efta ihr mehr über die Prüfung verraten als in der langen Zeit zuvor. V ielleicht konnte sie noch das eine oder andere erfahren.
    »Woher weiß du, dass ich daran denke?«, fragte sie.
    »Ich war auch einmal jung.« Efta lachte. »Selbst wenn du es dir heute nur schwer vorstellen kannst. W ie du wurde ich von meiner Mentorin über den Nebelsee zur Novizenprüfung begleitet. Und wie du war ich damals so aufgeregt, dass ich kaum an etwas anderes denken konnte.« Sie verstummte und blickte gedankenverloren über das W asser, als erlebte sie den geschilderten A ugenblick gerade noch einmal.
    »Wusstest du, was dich erwartet?« Jemina war entschlossen, das Gespräch fortzuführen.
    »Nein.« Efta schüttelte den Kopf. »Kein Elev weiß das und glaube mir, es ist besser so, denn keine Prüfung gleicht der anderen. Du kannst dich nicht darauf vorbereiten und es ist besser, wenn du sie unkundig antrittst.«
    »Und du glaubst wirklich, dass ich bestehe?«, fragte Jemina in der Hoffnung, dass Eftas Zuversicht ein wenig auf sie abfärben würde.
    »Hätte ich sonst den Zirkel einberufen?« Efta lächelte. »Hab V ertrauen, meine T ochter«, sagte sie voller Zuneigung. »Zu mir, aber auch zu dir. Dann bist du gerüstet, was immer dir bei der Prüfung auch widerfahren mag.« Sie schwieg und der abwesende Gesichtsausdruck verschwand. Jemina spürte, dass es keinen Sinn hatte, weiter nachzufragen. Efta hatte ihr alles erzählt, was sie bereit war preiszugeben. So hüllte sich auch Jemina wieder in Schweigen und hing ihren eigenen Gedanken nach, während die Barke über den See glitt und das schwindende Licht das nahe Ende des T ages ankündigte.
    Eftas Bewegungen mit dem Stechpaddel wirkten so gleichmäßig wie immer. W eder der Nebel, der die Barke wie ein feuchtes Bahrtuch einhüllte, noch die T atsache, dass sie schon eine halbe Ewigkeit über den See fuhren, ohne auch nur eine einzige Landmarke zu sehen, schienen sie aus der Ruhe bringen zu können.
    Jemina wünschte, sie wäre nur halb so gelassen. A uch wenn sie Efta blind vertraute, begann sie, sich ein wenig zu fürchten. W enn sie wenigstens das Ufer sehen könnte … oder ein kleines Stück des Himmels. Jemina seufzte. W er immer dem Nebelsee seinen Namen gegeben hatte, hatte nicht übertrieben. W ohin sie auch blickte, sie sah nichts als trübes W asser und eine W and aus grauem Dunst, die alles, was mehr als zehn Schritte entfernt war, vor ihren A ugen verbarg.
    Sie drehte sich nach hinten, um Efta etwas zu fragen, da entdeckte sie aus den A ugenwinkeln einen Lichtschein, der sich so zart und vergänglich wie der Flügelschlag eines
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