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Die Hüterin des Evangeliums

Die Hüterin des Evangeliums

Titel: Die Hüterin des Evangeliums
Autoren: Gabriela Galvani
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Gemahl sollte besser auf sie achtgeben, dachte er sicher in diesem Moment. Unter Imhoffs Obhut gestellt, würde sie den Abend sicher nicht in dieser kalten Kirche verbringen und Zeugin eines Prozesses werden, der ihr die Nachtruhe rauben würde. Angesichts seines Verständnisses flog Christianes Herz dem Dichter zu.
    Eine abrupte Bewegung neben sich irritierte sie. Sie sah sich um und bemerkte, dass ihr Gatte ebenfalls auf Georg Imhoff aufmerksam geworden war.
    Zu ihrer größten Überraschung entdeckte sie in den wässrigen blauen Augen Severin Meitingers, die von seinen schwerenLidern halb bedeckt waren, den Ausdruck ungezügelter Gefühle: Es schien, als sehe er den Teufel in Menschengestalt, er maß den Dämon mit Hass, Zorn und Verachtung.
    Einen Atemzug später wandte sich der Druckerverleger wieder dem Altar zu. Sein Gesicht war jetzt wieder so leer wie zuvor.
    Er weiß es, dachte Christiane entsetzt. Er weiß, wie es um Georg Imhoff und mich steht.
    Als sie nach geraumer Zeit noch einmal wagte, zu der Säule zu schauen, war der Platz des Dichters verwaist.
2
    Das Tonzeug flog gegen die Wand. Das Gefäß, in dem Marthas Mann sein Bister aufbewahrte, zerschellte glücklicherweise nicht, so dass nicht gleich alles von der teuren Tinte auslief, aber aus der Öffnung des Fässchens spritzte die goldbraune Flüssigkeit und hinterließ einen Fleckenregen auf dem weiß verputzten Holz neben dem Fenster.
    Die Rehmin hob ihren Blick von dem Flickzeug, mit dem sie sich im Licht der einzigen Talgkerze beschäftigte, die sie entzündet hatte und die sowohl zur Beleuchtung ihrer Handarbeit als auch Sebastians Papier dienen musste. Entsetzt starrte sie auf die schmutzigen Tropfen, dann wanderte ihr Blick tiefer, wo das Tintenfässchen über den Boden rollte und schließlich in einer unappetitlich wirkenden Lache liegen blieb. Nun war wohl doch alles verloren, und Sebastian würde gleich morgen früh zur Apotheke eilen, um sich mit seinen notwendigen Schreibutensilien neu einzudecken.
    Er tat, als habe es seinen Wutausbruch nicht gegeben. Jedenfalls erschien es Martha so. Wie sonst sollte sie erklären, warum Furcht in seinen Augen lag? Seine Miene war angespannt,die Züge waren bewegungslos. Er schien auf seinem Stuhl zur Salzsäule erstarrt, mit seinen Gedanken Gott weiß wo, aber ganz gewiss nicht in der Stube seiner bescheidenen Wohnung, beobachtet von seiner Frau. Er stierte aus dem Fenster über seinem Schreibtisch, blind gegen alles andere um ihn her – vor allem gegen die Verschwendung, die er angerichtet hatte.
    »Was ist nur in dich gefahren?«, herrschte sie ihn an.
    In dem Moment begann der kleine Johannes zu greinen. Das polternde Geräusch hatte das Kind geweckt. Es strampelte und schrie in seiner Wiege, die Martha neben den Herd geschoben hatte, in dem die Asche noch glühte und für ein wenig Wärme sorgte.
    Unverzüglich sprang sie auf, legte die Flickwäsche beiseite und eilte zu ihrem neun Monate alten Sohn, bevor der durch sein eigenes Geschrei in Atemnot geriet. Johannes litt seit seiner Geburt unter einer Krankheit, welche die Hebamme als »Engbrüstigkeit« bezeichnet hatte und gegen die es keine Heilung zu geben schien. Es gab wohl Arzneien wie Campher, die dem Kleinen ein wenig Linderung verschafften, aber Martha war gezwungen, daran zu sparen, da die Lösung für eine regelmäßige Anwendung viel zu teuer war. Deshalb war sie dankbar, wenn Johannes einmal ohne die Tinktur schlief – und zutiefst verärgert, wenn er geweckt wurde.
    Würde sie die Flecken auf der Wand überhaupt mit Wasser abwaschen können?, fragte sie sich, während sie das Kind aus dem Bettchen hob und in ihren Armen wiegte. Nicht auszudenken, wenn sie Farbe kaufen und malern müsste. Allein der Preis für ein neues Tintenfass war gleichzusetzen mit den Kosten für die Arznei ...
    »Ach, Sebastian«, seufzte sie. Wie soll es nur werden, wenn unser ungeborenes, zweites Kind auf der Welt ist?, fügte sie in Gedanken hinzu.
    Endlich wandte ihr Mann seinen Kopf. Er wirkte ebenso erschrocken wie verstört. Seine Lider flatterten, seine Blicke wanderten unruhig umher, als sei er auf der Suche nach etwas. Dann blieben seine Augen an dem Missgeschick auf der Wand hängen und weiteten sich. Betroffen schlug er die Hände vors Gesicht.
    Ihre Wut war verraucht. Sein Anblick hatte etwas Tragisches, und Martha hätte ihn gern getröstet, obwohl sie nicht einmal ahnte, was Sebastian neuerdings umtrieb. Er hatte seine Gelassenheit verloren,
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