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Die Hüterin des Evangeliums

Die Hüterin des Evangeliums

Titel: Die Hüterin des Evangeliums
Autoren: Gabriela Galvani
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beließ es dabei. Sie dachte nicht daran, Amalie die Wahrheit anzuvertrauen: Dass Wolfgang den zu einem entzückenden Kind heranwachsenden Kleinen auch deshalb mit Zuwendung überschüttete, weil er damit eine Schuld abtrug. Christiane wusste, wie sehr er darunter litt, dass er Sebastians Hilferuf zu spät Gehör geschenkt hatte.
    Sie waren eine kleine, glückliche Familie – Wolfgang, Johannes und Christiane. Seit kurzem nahm sie an, dass die Leidenschaft ihres Gemahls Folgen hatte und sie ein eigenes Kind unter ihrem Herzen trug. Sie hatte ihm noch nichts davon gesagt, weil sie sich nicht sicher genug war. Allerdings benutzte sie seit ihrem ersten Zusammensein in der Poststation zu Auerbach keinerlei schützende Mittel: Eine Schwangerschaft war ihr willkommen. Irgendwer sollte schließlich eines Tages die Privilegien übernehmen, und Christiane lächelte in sich hinein, wenn sie daran dachte, dass sie nun doch einem neuen Druckerverleger das Leben schenken würde.
    Die Kirchenglocken begannen zu läuten, als sie damit beschäftigt war, die verstreut herumliegenden Bauklötze wieder aufzusammeln. Sie erschrak über die um diese Stunde und inihrer Intensität ungewöhnlichen Klänge so sehr, dass sie entsetzt in der Bewegung innehielt.
    Heute Vormittag hatte es nicht nach einem Hochwasser ausgesehen, also musste ein furchtbares Unglück geschehen sein, wenn die Pastoren der Stadt derart an den Strängen ziehen ließen. Raste etwa eine Feuersbrunst durch die alten Mauern? Mit angehaltenem Atem lauschte sie, drückte den ebenfalls erstaunt lauschenden kleinen Johannes fest an sich.
    Erst allmählich wurde ihr bewusst, dass dies nicht die Sturmglocken sein konnten. Der Ton war nicht bedrohlich. Durch die geschlossenen Fenster hörte sie, wie sich Menschen auf der Gasse versammelten und wild durcheinanderriefen, die vom Geläut offenbar ebenso überrascht worden waren wie sie. Dann vernahm sie Schritte auf der Treppe, aufgeregte Stimmen hallten durch Delius’ Haus.
    Unwillkürlich schob sie das Kind von ihrem Schoß und erhob sich, um nach dem Rechten zu sehen.
    »Tata!«, schrie Johannes empört, der nicht alleine auf dem Boden hocken bleiben wollte.
    Seufzend hob sie den Jungen hoch und setzte ihn sich auf die Hüfte, ungeachtet der Tatsache, dass sein Gewicht das feine Tuch ihres Rocks zerknittern würde.
    Im selben Moment schallte eine nicht weniger durchdringende Männerstimme durch das Haus: »Christiane!« Zwei Stufen auf einmal nehmend, stürmte Wolfgang unter den neugierigen Blicken des herbeigeeilten Personals die Treppe hinauf. Dabei rief er nach seiner Frau.
    »Was ist denn geschehen?«, erkundigte sich Christiane, als sie aus dem Kinderzimmer trat. Ihre Wangen glühten vor aufgeregter Erwartung. Dennoch war sie sich nicht recht im klaren darüber, ob sie die Neuigkeiten herbeisehnen sollte oder mögliche schlechte Nachrichten erst später erfahren wollte. Die Erlebnisse der vergangenen Monate hatten sie vorsichtigerwerden lassen. Nicht jedes Ungemach bedeutete zwar gleich eine Tragödie, aber sie war zögerlich geworden in der Beurteilung einer Situation. Noch traute sie dem Schicksal nicht wirklich – sie war nicht blind vor Glück ...
    Wolfgang schwenkte ein Flugblatt in der Hand. »Sie haben sich geeinigt«, jubelte er. »Die Räte haben sich mit dem König auf einen Reichsabschied geeinigt. Überall im Land reiten Kuriere umher, und die Priester sprechen von den Kanzeln. Bei Behem in Mainz soll der Text des Religionsfriedens unverzüglich gedruckt und zur Buchhändlermesse ausgeliefert werden, damit er für jedermann zugänglich ist ...« Atemlos stand er vor Christiane und dem kleinen Johannes und umschloss beide mit seinen Armen.
    »Höre ich das Wort Frieden ?« Amalie tauchte auf und neigte den blond gelockten Kopf interessiert. »Berichte mir bitte von den Neuigkeiten.«
    Nur widerwillig löste sich Wolfgang von seiner Liebsten und dem Jungen.
    »Papa«, trompetete Johannes.
    Wolfgang, der gerade zu einer Beantwortung von Amalies Frage ansetzte, hielt verblüfft inne. »Wo hat er denn dieses Wort her?«
    Christianes vorwurfsvoller Blick richtete sich auf Amalie. Eigentlich war sie mit Wolfgang übereingekommen, niemals die Positionen von Martha und Sebastian Rehm einzunehmen. Schließlich gab es keinen Grund, dem Buben das Erbe seiner leiblichen Eltern vorzuenthalten, auch wenn dieses nur ein geistiges war. Aber sie hatte bereits geahnt, dass Amalie ihrem Schwager einen Gefallen erweisen und
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