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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle
Autoren: Brigitte Riebe
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Kleider für seine Figuren sticheln kann, und du hast nun mal geschickte Hände. Was die Kinder betrifft«, sie hörte ihn ausatmen, »so ist der Junge schon fast so groß wie du. Der braucht bald ganz andere Dinge.«
    »Aber Selina«, sagte sie heftig, »sie ist doch noch …«
    »Das zornige kleine Mädchen«, er ließ sich nicht abbringen, doch seine Stimme war auf einmal voller Mitgefühl, »wirst du nicht retten können. Es gibt Wunden, die niemals heilen. Dagegen ist selbst ein so starker Wille wie der deine machtlos.«
    Das Haus flüsterte. Sobald Marie die Augen schloss, konnte sie es hören. Jeder Raum steckte voller Geschichten. Am tollsten ging es in ihrer Kammer zu. Gesichter tauchten vor ihr auf und glitten wieder davon. In letzter Zeit schoben sich immer Francescas Züge vor alle anderen, das Gesicht von Veits erster Frau, das sie niemals gesehen hatte, das ihr inzwischen dennoch merkwürdig vertraut war.
    Du denkst, er betrügt dich mit mir, dachte Marie. Ich weiß, dass du mich deswegen hasst. Doch du tust mir Unrecht, Francesca. Denn du bist tot, und ich lebe. Aber ich verstehe dich, besser sogar, als mir lieb ist. Mit welcher Frau wird er mich als Erstes betrügen? Kannst du mir das sagen? Oder hat er es längst getan?
    Wir können uns nicht aussuchen, wen wir lieben .
    Das hatte Adam damals zu ihr gesagt, im Felsenkeller, und sie zutiefst damit getroffen. Denn sie wusste im gleichen Augenblick, dass sie ihn für immer verloren hatte. Seine Worte enthielten eine Wahrheit, gegen die sie sich machtlos fühlte.
    Jetzt erging es ihr schon zum zweiten Mal ähnlich, in mehr als einer Hinsicht. Mit ihrer Heirat hatte sie den Vater niemals verletzen wollen – und es dennoch getan. Sie hatte sich den Gegenpart zu ihm ausgesucht und konnte mit Veit nicht glücklich werden, genauso, wie er es vorausgesagt hatte. Manchmal hatte sie Lust, zu weinen und zu schreien, ihm zu sagen, wie Recht er gehabt hatte. Und dass sie davon träumte, zu ihm zurückzukehren, zu dem behaglichen, erfüllten Alltag im Gasthof Unter den Störchen , wo alles seine Ordnung gehabt hatte. Aber natürlich würde sie sich eher die Zunge abbeißen, als es laut auszusprechen.
    Ja, es tat weh, wie Veit die Frauen ansah, hungrig, voller Neugierde. Als ob jede Einzelne sein Begehren wert sei. Und die Frauen reagierten darauf, unübersehbar. Sie plusterten sich auf, bewegten die Hüften, streckten die Brüste heraus. Plötzlich schienen sie von innen zu strahlen. In ihren Augen erwachten Träume zu neuem Leben. Nicht einmal alte Weiblein waren dagegen gefeit.
    Veit lachte nur, wenn sie ihn darauf ansprach, und versuchte nicht einmal, es abzustreiten.
    »Das will ich meinen, mein Herz! Ich studiere Gesichter, Leiber, Bewegungen. Nur so werden meine Figuren erst richtig lebendig. Und Frauen haben nun mal die viel ausdrucksvolleren Körper. Aber das muss ich meiner eigenen Frau doch nicht sagen, oder?«
    Es war längst hell, doch Marie fühlte sich zu schwach, um aufzustehen. Veit war fort. Sie hatte ihn im Morgengrauen weggehen hören, vom Fürstbischof zur Jagd gebeten. Fuchs von Dornheim, seit drei Jahren weltlicher und geistlicher Herr über Bamberg, plante eine neue Krippe. Eine riesige, prächtige Jahreskrippe, die vielleicht sogar den Dom schmücken sollte. Um die Frömmigkeit der Menschen zu fördern, auf dieser katholischen Insel, mitten im protestantischen Feindesland.
    Das war die Gelegenheit, auf die Veit gewartet hatte. Man hatte ihn mit Kleinkram abgespeist, seit er in die Heimatstadt zurückgekehrt war, viel zu lange für seinen Geschmack. Mehr als einmal hatte er seine Entscheidung bereut und sogar davon gesprochen, Bamberg zu verlassen und wieder in Neapel zu leben. Ein unruhiger Geist wie er war nicht mit kleinen Aufträgen zufrieden. Großes schwebte ihm vor, nie zuvor Gesehenes. Wenn jetzt endlich wahr würde, wonach er sich so lange sehnte, vielleicht würde er dann aufhören, von Italien zu träumen – und von anderem.
    Jetzt, wo sie sich stärker bewegte, spürte sie plötzlich die Nässe zwischen den Beinen. Marie wusste, woran es lag, noch bevor sie das Blut auf dem Laken entdeckte. Wieder einmal hatte sie vergeblich gehofft. Wie jeden Monat. Es gab kein Ankommen dagegen, was immer sie auch versuchte. Ein starker Strom, als rinne das Leben aus ihr heraus, so fühlte sich an, was ihr geschah.
    Und in gewisser Weise war es ja auch so.

    Ihre Tränen waren versiegt, als sie später das Leinenzeug hinunter in die
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