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Die Hueterin der Krone

Die Hueterin der Krone

Titel: Die Hueterin der Krone
Autoren: Elizabeth Chadwick
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respektvoll.
    »Mama?«
    Sie sah ihm an, dass er darauf brannte, mit den Vorbereitungen für seine Reise nach England zu beginnen; er wartete ungeduldig darauf, sein Leben endlich selbst gestalten zu können. »Henry.« Zuneigung und Stolz schwangen in ihrer Stimme mit. »Ich schätze dich, weil du mein Kind bist und weil du noch den Ungestüm der Jugend besitzt. Aber du musst diesen Ungestüm durch Willensstärke und Fleiß zügeln. Eskapaden wie in England darf es nicht mehr geben. Dein Vater ist derselben Ansicht.«
    Er blickte zu ihr auf. Ein hartes Lächeln spielte um seine Lippen. »Dazu wird es nicht wieder kommen.« Wie bei seinem Großvater funkelten seine Augen diamantgrau; Verständigkeit und kraftvolle Männlichkeit waren darin zu erkennen. Der Flaum, der vor achtzehn Monaten noch sein Kinn bedeckt hatte, war zu einem vollen, rötlichen Bart geworden.
    »Du musst dem Land deinen Stempel wie ein königliches Siegel aufdrücken. Die Menschen wollen Gerechtigkeit und einen starken Herrscher, und das musst du für sie sein, damit sie dir folgen. Stephen hat versagt. Du musst beweisen, dass du aus anderem Holz geschnitzt bist. Worte reichen nicht aus. Du musst Taten sprechen lassen.«
    »Ich weiß, Mama«, erwiderte er mit einer Spur von Überdruss.
    »Ich will dir keine altklugen Vorträge halten«, versetzte sie brüsk. »Ich weiß, dass du über alle Voraussetzungen verfügst, um Erfolg zu haben.« Sie musterte ihn lange. »Komm mit. Ich möchte dir etwas geben.«
    Matilda führte Henry in ihre Kammer und trat zu einer eisenbeschlagenen Truhe am Fuß ihres Bettes. Nachdem sie sie mit einem an ihrem Gürtel hängenden Schlüssel geöffnet hatte, nahm sie einen Gegenstand heraus, der in ein golddurchwirktes Tuch mit Fransen gehüllt war. Henrys Atemzüge beschleunigten sich, als sie das Tuch langsam entfernte und die große Krone zum Vorschein kam, die sie aus Deutschland mitgebracht hatte.
    »Ein herrschender Kaiser hat sie getragen«, erklärte sie, »und sie geht auf einen anderen Herrscher mit demselben Namen über, der es in der Zukunft zu derselben Größe bringen wird. Sie gehört jetzt dir, und du wirst sie tragen, wenn du zum König von England gekrönt wirst.«
    Henry nahm die Krone. Seine Augen schimmerten grau wie die Bergkristalle in dem Gold.
    Matilda sah, dass er hart schluckte. Auch in ihren Augen brannten Tränen. »Morgen besuchen wir vor der Abreise deines Vaters die Messe in Bec, wo die Krone gesegnet und auf den Altar gelegt wird. Dort wird sie bleiben, bis du als Englands König nach ihr schickst.«
    Henry hüllte den Goldreif fast ehrfürchtig wieder in das Tuch. »Es ist auch deine Krone, Mutter«, sagte er. »In ihr wohnt dein Geist.«
    Matilda lächelte ihn durch einen Tränenschleier an. »Ja.« Sie hob stolz den Kopf. »Das stimmt.«

Epilog
    Abtei Afflighem, Belgien, Frühjahr 1149
    Adeliza saß im Garten von Afflighem und genoss die erste Frühlingswärme. Von ihrer Bank in einer geschützten Ecke aus konnte sie die Blumen sehen, die sie im Herbst gepflanzt hatte. Als sie die Zwiebeln in die Erde gesetzt hatte, hatte sie nicht gewusst, ob sie sie noch blühen sehen würde; sie war davon ausgegangen, dass ihre sterbliche Hülle im Grab ruhte, wenn sie ans Licht drängten. Doch dank der Gnade Gottes war sie noch am Leben und konnte sich an dem warmen Gold der Narzissen und den zarten violetten Blüten des Veilchenstraußes erfreuen, den sie in der Hand hielt. Ihre Gesundheit war so schwach wie der blasse Sonnenschein, aber sie hatte ihren Frieden gefunden, konnte beten und sich eins mit Gott fühlen. Heute ging es ihr etwas besser als sonst. Der französische Zisterziensermönch Bernard of Clairvaux behauptete, in Afflighem eine Vision der Jungfrau gehabt zu haben, und Adeliza war geneigt, ihm zu glauben. Ihr selbst war die Heilige Jungfrau zwar nicht erschienen, aber sie war sicher, manchmal ihre Gegenwart zu spüren, die ihr Kraft und Wärme gab.
    Sie hob den Veilchenstrauß an ihr Gesicht, um den zarten Duft einzuatmen, blickte über die Beete hinweg und zuckte zusammen, als sie einen Mann den Pfad entlang auf sich zukommen sah. »Will?« Ihr Herz begann zu hämmern, und all die Gefühle, die sie verdrängt hatte, als sie sich für ein Leben in der Klosterabgeschiedenheit entschied, rollten über sie hinweg. Er hatte etwas von seiner robusten Vitalität eingebüßt, wirkte verhärmt und hatte mehr graue Strähnen im Haar, machte aber einen gefassten Eindruck. Als er vor ihr
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