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Die Hudson Saga 04 - Im Schein des Mondes

Die Hudson Saga 04 - Im Schein des Mondes

Titel: Die Hudson Saga 04 - Im Schein des Mondes
Autoren: V.C. Andrews
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davon.
    Er konnte einen so wütend machen wie sonst kein
Junge, den ich kannte, und dennoch … dennoch gab es Zeiten, da ertappte ich ihn dabei, wie er mich mit anderen Augen anschaute, mit einem sanfteren Blick, einem fast kindlichen und liebevollen Blick.
    Es war alles so verwirrend.
    Deshalb dachte ich manchmal, Mrs Geary könnte Recht haben damit, dass ich noch zu jung sei für die Segnungen der Weiblichkeit.
    Ich schaute zu Onkel Roys Haus. Ich war enttäuscht. Ich hatte gehofft, Harley wäre fast genauso aufgeregt wegen meiner Party wie ich und wäre mittlerweile draußen.
    »Vielleicht schaue ich einmal nach, ob er beim Frühstück ist«, sagte ich.
    »Vergeude deine Zeit nicht«, riet Onkel Roy mir. »He«, schrie er einen der Arbeiter an. »Du setzt das falsch ein. Das sind eine Feder und eine Nut.«
    Er marschierte davon, und ich ging auf sein Haus zu. Onkel Roy hatte sich ein zweistöckiges Haus von bescheidener Größe gebaut mit hellgrauen Wänden und dunkelblauen Fensterläden.Vorne prangte eine Veranda von beträchtlicher Größe, weil er sagte, er hätte schon immer ein Haus haben wollen mit einerVeranda, auf die er einen Schaukelstuhl stellen und die Welt an sich vorüberziehen lassen konnte. Er bekam seinen Wunsch erfüllt, aber hier gab es nichts zu beobachten außer den Vögeln, Kaninchen, Rehen und hin und wieder einem Fuchs. Da jede Hauptverkehrsstraße weit entfernt war, hörte man auch keinen Verkehr. Eine Autohupe erklang
so entfernt wie das Schreien einer Wildgans, die im Sommer nach Norden zog.
    Onkel Roy behauptete, er hätte das Stadtleben sowieso immer gehasst, und als er noch in Washington gelebt hatte, hätte er es geschafft, die Straßen entlangzulaufen und dabei völlig abzuschalten. Er sah aus wie ein Mann, der die Vorhänge herunterziehen und den Blick nach innen richten konnte, um seine eigenen Visionen und Träume vorbeiziehen zu lassen.
    Über die Haustür hatte Tante Glenda ein Bronzekreuz gehängt. Einmal in der Woche holte sie eine Trittleiter heraus und polierte es. Die Haustür stand offen, aber die Fliegengittertür war geschlossen. Ich klopfte leise an den Türrahmen und rief sie dann. Drinnen hörte ich die Gospelsongs, die immer liefen, wenn sie in der Küche arbeitete oder putzte. Offensichtlich hörte sie mich nicht, deshalb öffnete ich einfach die Tür und betrat das Haus.
    Es duftete immer nach etwas, das sie kochte oder backte. Heute roch ich den Speck, den sie zum Frühstück gebraten hatte. Ich rief noch einmal nach ihr und spähte in das kleine Wohnzimmer. Sie hatte es in ein Heiligtum für Latisha verwandelt. Überall hingen und standen Bilder von ihr, auf dem Kaminsims, auf den Tischen, an den Wänden. Dazwischen Devotionalien – Heiligenbilder, Abbildungen von Kathedralen, Christusfiguren. Normalerweise brannten Kerzen, allerdings nicht heute Morgen. Das Zimmer selbst war dunkel eingerichtet; Möbel aus Kirschbaum-, Eichen- und Walnussholz auf einem Holzboden mit einigen kleinen
Teppichen. Mommy und Daddy hatten ihnen eine wunderschöne Standuhr geschenkt, aber niemand machte sich die Mühe, sie aufzuziehen.
    »Heute gleicht ein Tag dem anderen«, hörte ich einmal Onkel Roy zu Daddy sagen, als Daddy ihn nach der Uhr fragte. »Besonders für Glenda. Warum sich Gedanken machen über die Zeit?«
    Niemand war im Esszimmer, deshalb ging ich den Flur entlang zur Küche. Die Musik schallte aus einem kleinen CD-Spieler, aber Tante Glenda war nirgends zu sehen. Mit einem Blick durch die Hintertür entdeckte ich jedoch, dass sie draußen war und Wäsche aufhängte. Das mochte sie lieber als einen Trockner, weil sie fand, die Wäsche rieche frischer vom Duft der Blumen in der Luft. Wie üblich trug sie einen verblichenen Kittel und Slipper. Ihr dunkelbraunes Haar mit den vorzeitig grauen Strähnen hing ihr auf die Schultern; an ihren Mundbewegungen erkannte ich, dass sie entweder mit sich selbst redete oder ein Gebet für ihre tote Tochter sprach.
    Ich zog mich zur Treppe zurück und lauschte, ob ich etwas hörte, das darauf hindeutete, dass Harley bereits auf war. Aber ich hörte nur das schwache Tröpfeln des Badezimmerwasserhahns.
    »Harley«, rief ich. »Bist du wach?«
    »Nein«, rief er sofort zurück.
    Ich musste lächeln.
    »Redest du wieder im Schlaf?«
    »Ja«, sagte er. »Weck mich nicht.«
    »Es ist schon spät, Harley.«

    Ich ging die Treppe hinauf. Harley und ich waren nicht genau wie Geschwister aufgewachsen, aber wir hatten so viele Jahre unserer
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