Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
Läuten wurde ihr Anruf zu einem anderen Apparat weitergeleitet, und West hängte ein. Sie kramte nach einer Zigarette, bog in die Fifth Street und sah prüfend in die Wagen, aus denen Männer inspizierten, was die Nacht heute bot. West ließ die Sirene aufheulen, schaltete das Blaulicht ein und mischte sich unter sie. Ob ein einziger von ihnen Gutes im Sinn hatte? Die Nutten, Stricher und Transvestiten stoben auseinander, und ihre potentiellen Kunden machten sich davon.
    »Ihr Idioten«, murmelte West und schnippte Asche aus dem Fenster. »Ist es das wert, dafür zu sterben?« schrie sie dann.
    Cahoon bewohnte am Cherokee Square in Myers Park eine prachtvolle, herrschaftliche Backsteinvilla, in der nur noch wenige Lichter brannten. Der Eigentümer, seine Frau und seine Tochter waren bereits zu Bett gegangen. Doch das konnte Hammer keineswegs von ihrem Vorhaben abhalten. Sie wollte dem großen Bankchef und Wohltäter der Stadt einen angemessenen Dienst erweisen. Hammer klingelte an der Haustür. Ihre Nerven lagen blank, wo sie bisher gar keine vermutet hatte. Dazu empfand sie eine erschreckende Leere und Einsamkeit. Einfach wieder nach Hause zu gehen, schien ihr unerträglich. Sie wollte nicht an den Stellen vorbeigehen, wo Seth gesessen oder sich ausgeruht hatte, wo er gegangen war oder sich beschäftigt hatte. Sie wollte nichts mehr von dem sehen, was sie an ihn erinnern konnte. Nicht seinen LieblingsKaffeebecher. Nicht die Vorräte an Ben & Jerry's Chocolate Chip Cookie Dough Eis, die er nun nicht mehr vertilgen konnte. Nicht den antiken silbernen Brieföffner, den er ihr 1972 zu Weihnachten geschenkt hatte und der noch auf dem Schreibtisch in ihrem Arbeitszimmer lag. Cahoon hatte die Klingel in seiner Suite im ersten Stock gehört. Der Blick von hier reichte über die Buchsbaumskulpturen und alten Magnolienbäume in seinem Garten hinweg bis zu jenem Prachtbau, den eine leuchtende Krone zierte. Er schob die feinen, monogrammbestickten Bettlaken zur Seite und fragte sich, wer wohl die Unverschämtheit besaß, zu nachtschlafender Zeit bei ihm aufzukreuzen. Er ging zur Videoanlage an der Wand, erkannte verblüfft Hammer auf dem Monitor und griff zum Hörer.
    »Judy?« fragte er.
    »Ich weiß, es ist spät, Sol.« Sie sah in die Kamera und sagte in die Sprechanlage: »Aber ich muß Sie sprechen.«
    »Ist alles in Ordnung?« Er dachte sofort an seine Kinder und machte sich Sorgen. Rachel war im Bett, das wußte er. Aber seine beiden älteren Söhne konnten sonstwo sein. »Ich fürchte, nein«, sagte Hammer.
    Cahoon nahm den Morgenmantel vom Bettpfosten und warf ihn sich über. In Hausschuhen ging er über den endlosen antiken persischen Läufer, der die Stufen bedeckte. Unten angekommen, ließ er den Zeigefinger über die Tastatur der Alarmanlage huschen und schaltete Glasbruchsensoren, Bewegungsmelder und Schließkontakte an Fenstern und Türen ab. Der Tresorraum und die unbezahlbare Kunstsammlung blieben eingeschaltet. Sie waren in anderen Gebäudeflügeln untergebracht und mit separaten Systemen gesichert. Er ließ Hammer ein. Cahoon blinzelte in das helle Licht, daß jedesmal automatisch anging, wenn sich etwas auf mehr als zwei Meter dem Haus näherte und größer als dreißig Zentimeter war. Hammer sah schlecht aus. Cahoon konnte sich nicht vorstellen, aus welchem Grund der Chief zu so früher Morgenstunde und so kurz nach dem Tod ihres Mannes unterwegs sein mochte. »Bitte, kommen Sie herein«, sagte er, inzwischen hellwach und freundlicher als gewöhnlich. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
    Sie folgte ihm in einen großen Raum. Er ging auf die Hausbar zu. Hammer war nur ein einziges Mal in Cahoons Haus gewesen, und zwar anläßlich einer exquisiten Party, inklusive Streichquartett und riesiger Silberschalen voller Riesenshrimps auf Eis. Der Vorstandsvorsitzende liebte englische Antiquitäten und sammelte alte Bücher in prachtvollem Ledereinband mit marmoriertem Deckblatt. »Bourbon«, beschloß Hammer.
    Das war Musik in Cahoons Ohren, der gerade auf Diät war: kein Fett, kein Alkohol, kein Spaß. Er würde sich einen Doppelten pur gönnen, ohne Eis. Er entkorkte eine Flasche Blanton's Kentucky Single Barrel und hielt sich nicht damit auf, die monogrammbestickten Cocktailservietten als Untersatz zu benutzen, auf die seine Frau so großen Wert legte. Er wußte, er würde jetzt eine Medizin brauchen, denn Hammer war gewiß nicht hier, um ihm eine erfreuliche Nachricht zu überbringen. Lieber Gott,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher