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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse
Autoren: Patricia Cornwell
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als sie mit einer Hüfte die Tür zuschlug, kam der Idiot, nach dem sie Ausschau gehalten hatte, aus dem Gebäude. Er trug Gefängnislook: Jeans auf Halbmast, mit diesem coolen, fünfzehn Zentimeter breiten Streifen pastellfarbener Unterhose. Dieses modische Statement war im Gefängnis aufgekommen, wo Insassen ihre Gürtel abgeben mußten, damit sie nicht sich oder andere damit strangulierten. Der Trend hatte sich über alle rassischen und sozioökonomischen Grenzen hinweggesetzt, so daß es jetzt aussah, als drohe die Hälfte aller Einwohner der Stadt ihre Hosen zu verlieren. West fehlte dafür jedes Verständnis. Sie ließ den Wagen stehen, wo er war, und kämpfte noch mit ihrer Ladung, als der Idiot »Guten Morgen« murmelnd an ihr vorbeitrottete.
    »Brewster!« Ihre Stimme brachte ihn so abrupt zum Stehen wie eine auf ihn gerichtete Waffe. »Was, zum Teufel, bilden Sie sich ein, auf meinem Platz zu parken?«
    Er grinste und ließ Ringe und eine falsche Rolex aufblitzen, als er mit hilfloser Geste die Arme öffnete, wobei die Pistole, die er unter der Jacke trug, hervorschaute. »Sehen Sie sich doch um! Und? Nicht ein verdammter Parkplatz in ganz Charlotte.«
    »Und genau deshalb bekommen wichtige Leute wie ich einen zugewiesen«, sagte sie zu dem Detective - der ihr unterstand -, als sie ihm ihre Schlüssel zuwarf. »Bringen Sie sie zurück, wenn Sie meinen Wagen weggefahren haben.«
    West war zweiundvierzig, eine Frau, nach der man sich noch immer umdrehte, und nie mit etwas anderem verheiratet gewesen als dem, was sie auf Erden für ihre Bestimmung hielt. Sie hatte tiefrotes Haar, etwas weniger gepflegt und länger als sie es eigentlich mochte, ihre Augen waren dunkel und sie war mit einem Körper gesegnet, den sie nicht verdiente, denn sie tat nichts, um Rundungen und Straffheit an den richtigen Stellen zu erhalten. Sie hatte eine Art, ihre Uniform zu tragen, die andere Frauen wünschen ließ, selbst eine zu haben. Aber das war nicht der Grund, weshalb sie Uniformblau Zivilkleidung vorzog. Sie hatte mehr als dreihundert aufsässige Ermittler wie Roland Brewster unter sich, die jede einzelne Ermahnung an Recht und Ordnung, die West aufbieten konnte, nötig hatten.
    Polizisten grüßten sie beim Hineingehen. Sie bog rechts ab und ging schnurstracks auf die Büroräume zu, in denen Chief Judy Hammer über alles entschied, was in einem Umkreis von achtzig Kilometern und einem Gebiet von fast sechs Millionen Einwohnern bei der Durchsetzung der Gesetze von Gewicht war. West verehrte ihre Vorgesetzte, aber gerade jetzt war sie wütend auf sie. West wußte, warum sie so früh zu einer Besprechung gerufen worden war, und die Sache, um die es ging, spottete nicht nur jeder Vernunft, sondern entzog sich auch ihrem Einfluß. Das hier war einfach irrwitzig. Sie marschierte in Hammers Vorzimmer, wo Captain Fred Horgess gerade telefonierte. Er hielt die Hand über die Sprechmuschel und schüttelte den Kopf in einer Kann-leider-nichts-machen-Geste, als West schon auf die dunkle Holztür zuschritt, auf der, in strahlendes Messing graviert, Hammers Namen prangte. »Das sollten Sie besser nicht«, meinte er schulterzuckend. »Habe ich Sie vielleicht um Ihre Meinung gebeten«, erwiderte West gereizt.
    Ihre schwankende Ladung auf dem Arm, klopfte sie mit der Spitze ihres schwarzen Bates-Lackschuhs an und stubste mit dem Knie den Drehknauf nach oben, wobei fast der Kaffee umkippte, den sie gerade noch rechtzeitig festhalten konnte. Hammer saß hinter ihrem überquellenden Schreibtisch, umgeben von den gerahmten Fotografien ihrer Kinder und Enkel, ihr Arbeitsmotto »Verhüte das nächste Verbrechen« hinter sich an der Wand. Sie war Anfang Fünfzig und trug ein perfekt sitzendes Pepitakostüm. Das Telefon läutete unbarmherzig, aber im Moment hatte sie Wichtigeres im Kopf.
    West ließ ihre Fracht auf einen Stuhl fallen und setzte sich selbst auf einen anderen nahe der geflügelten Siegesgöttin aus Messing, die Hammer letztes Jahr von der Internationalen Vereinigung der Polizeipräsidenten verliehen worden war. Sie hatte sich nie die Mühe gemacht, dafür ein Podest zu besorgen oder ihr einen Ehrenplatz zuzuweisen. Im Gegenteil: Als warte sie auf eine Mitfahrgelegenheit zu einem besseren Ziel, stand die fast einen Meter hohe Trophäe noch immer auf demselben Stück Teppich neben ihrem Schreibtisch. Judy Hammer gewann solche Sachen, weil es nicht ihr Ehrgeiz war. Dampf stieg auf, als West den Deckel von ihrem Kaffeebecher nahm. »Ich
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