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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse
Autoren: Patricia Cornwell
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Rücken, atmete tief ein und aus und genoß das angenehme Körpergefühl nach der Anstrengung. Langsam setzte er sich auf, machte ein paar Dehnübungen und stand schließlich auf, was soviel hieß wie, er konnte jetzt wieder zur Tagesordnung übergehen.
    Gemächlich ging Andy Brazil zu seinem fünfundzwanzig Jahre alten schwarzen BMW 2002, den er am Straßenrand geparkt hatte. Er hatte ihn gewachst und mit Armor All poliert. Das originale weißblaue Emblem am Kühlergrill war längst verblaßt, doch er hatte es liebevoll mit Lackfarbe restauriert. Der Wagen hatte an die zweihunderttausend Kilometer auf dem Tacho, und jeden Monat war irgend etwas defekt. Aber Brazil konnte alles selbst reparieren. Das Innere war mit Leder ausgekleidet, zudem besaß er einen neuen Empfänger für die Polizeifrequenz sowie ein Sprechfunkgerät. Zwar mußte er erst um vier an seinem Arbeitsplatz sein, doch er stellte den Wagen bereits um zwölf auf seinem reservierten Parkplatz ab. Da er der Polizeireporter des Observer war, lag sein Stellplatz nicht weit vom Eingang entfernt, damit er jederzeit losfahren konnte, wenn irgendwo etwas passierte.
    Beim Betreten der Eingangshalle nahm er den Geruch von Druckerfarbe in sich auf wie ein Jagdhund eine Blutspur. Dieser Geruch erregte ihn ebenso wie Polizeisirenen und Blaulicht. Er war glücklich, daß er sich nicht mehr jedes Mal beim Pförtner eintragen mußte. Brazil eilte die Metallstufen der Rolltreppe hinauf, als habe er sich zu einer Verabredung verspätet. Die Leute, die auf der anderen Seite herunterfuhren und ihn neugierig ansahen, kamen ihm vor wie Statuen. In der Nachrichtenredaktion des Observer war Brazil allgemein bekannt, aber Freunde hatte er hier nicht. Die Redaktion war ein großer, trister Raum. Überall klickten Tasten, schrillten Telefone und ratterten Drucker, die hastig eingehende Meldungen ausspuckten. Angespannt saßen Reporter vor ihren Computer-Monitoren oder blätterten in Notizblöcken. Auf deren festen Deckeln stand der Name der Zeitung. Andere liefen auf und ab, und die für Lokalpolitik zuständige Reporterin rannte zur Tür hinaus, um eine Exklusivmeldung zu ergattern. Noch immer hatte sich Brazil nicht ganz an den Gedanken gewöhnt, daß er nun tatsächlich ein Teil dieser wichtigen, hektischen Welt war, in der Worte die Schicksale und das Denken der Menschen beeinflussen konnten. In dramatischen Situationen blühte er auf. Das rührte vielleicht daher, daß er von Kindesbeinen an mit ihnen aufgewachsen war, wenngleich selten in ihrer positiven Form.
    Sein neuer Schreibtisch stand nur durch eine Glaswand getrennt vor dem Panesas. Um ihn herum war die Lokalredaktion angesiedelt. Brazil mochte Panesa und war stets bestrebt, ihn zu beeindrucken. Panesa war ein gutaussehender Mann mit weißblondem Haar. Sein Äußeres litt noch nicht unter dem Umstand, daß er die Vierzig bereits überschritten hatte. Er war groß, schlank und hielt sich betont gerade. Er trug elegante Anzüge in dunkelblau oder schwarz und benutzte ein dezentes Herrenparfüm. Brazil hielt Panesa für klug, obwohl er das noch gar nicht wissen konnte. In der Sonntagsausgabe seiner Zeitung hatte Panesa eine regelmäßige Kolumne, und die Frauen von Charlotte und Umgebung schrieben ihm begeisterte Briefe und fragten sich, wie Richard Panesa wohl im Bett sein mochte, oder jedenfalls stellte Brazil sich vor, daß es so war. Panesa hielt gerade eine Konferenz ab, als Brazil sich an seinen Schreibtisch setzte. Verstohlen sah er zum gläsernen Reich seines Chefs hinüber, während er sich zugleich den Anschein großer Geschäftigkeit gab. Er blätterte in Notizbüchern, zog Schubladen auf und studierte die Abzüge längst veröffentlichter Artikel. Es war Panesa nicht entgangen, daß sein jungenhafter, ehrgeiziger Polizeireporter am ersten Tag vier Stunden zu früh an seinem neuen Arbeitsplatz erschienen war. Aber es überraschte ihn nicht.
    Als erstes stellte Brazil fest, daß Tommy Axel wieder einmal eine Rose auf seinen Tisch gestellt hatte, die aus dem Shop einer 7-Eleven-Tankstelle stammte. Ihre traurige, ungesunde Farbe paßte zu den Kunden der Läden, in denen die dunkelrote Blume der Leidenschaft gut verpackt für einen Dollar achtundneunzig zu haben war. Sie steckte noch in ihrer Klarsichtfolie. Axel hatte sie in eine mit Wasser gefüllte Limonadenflasche gestellt. Er war der Musikkritiker, und Brazil wußte, daß er in diesem Moment von dessen nicht weit entferntem Platz scharf gemustert wurde.
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