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Die Hongkong-Papiere

Die Hongkong-Papiere

Titel: Die Hongkong-Papiere
Autoren: Jack Higgins
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außerdem der Oberkommandeur der Alliierten in Südostasien.
     Der amerikanische General mit Nickelbrille, der hinter ihm erschien und kurz stehenblieb, um sich eine Zigarette anzuzün­ den, war General »Vinegar Joe« Stilwell, Mountbattens Stellvertreter und Chef des Stabes unter Tschiang Kai-schek. Er galt als der größte Chinaexperte innerhalb der alliierten Streitkräfte und beherrschte die kantonesische Sprache flie­ ßend.
     Er setzte sich auf das Geländer. »Da kommt er ja schon, der große Vorsitzende Mao.«
     »Was ist mit Tschiang Kai-schek?« erkundigte sich Mount­
    batten.
     »Er hat sich entschuldigt. Mußte angeblich aufs Land fahren. Es ist sinnlos, Louis, Mao und Tschiang würden sich niemals zusammensetzen. Sie wollen beide das gleiche.«
     »China?« fragte Mountbatten.
     »Genau.«
     »Nun ja, ich muß Sie daran erinnern, daß wir hier nicht im Pazifik sind, Joe. Fünfundzwanzig japanische Divisionen stehen in China, und seit Beginn der Offensive im April erringen sie einen Sieg nach dem anderen. Das weiß niemand besser als Sie. Wir brauchen Mao und seine kommunistische Armee. So einfach ist das.«
     Sie beobachteten, wie die Dakota landete. Dann sagte Stil­ well: »Der Standpunkt Washingtons ist simpel. Wir haben Tschiang genug Leihpacht bezahlt.«
     »Und was haben wir dafür bekommen?« fragte Mountbatten. »Er hockt auf seinem Hintern, rührt keinen Finger und spart seine Munition und sein Kriegsgerät für den Bürgerkrieg gegen die Kommunisten auf, sobald die Japaner besiegt sind.«
     »Einen Bürgerkrieg würde er wahrscheinlich gewinnen«, sagte Stilwell.
     »Meinen Sie wirklich?« Mountbatten schüttelte den Kopf. »Sie wissen, daß man Mao und seine Anhänger im Westen als Agrarrevolutionäre betrachtet, die nichts anderes wollen als Land für die Bauern.«
     »Und Sie denken nicht so?«
     »Offen gesagt, ich glaube, daß sie eingefleischtere Kommuni­
    sten sind als die Russen. Ich denke, daß sie durchaus in der Lage sind, Tschiang Kai-schek aus China zu verjagen und nach dem Krieg die Macht zu übernehmen.«
     »Ein interessanter Gedanke«, sagte Stilwell, »aber wenn es Ihnen darum geht, Freunde zu gewinnen und Einfluß auszu­ üben, dann ist das Ihre Sache. Washington wird dabei nicht mitmachen. Frischer Nachschub an Waffen und Munition muß von Ihrer Regierung kommen, nicht aus amerikanischen Quellen. Wir haben genug damit zu tun, uns nach dem Krieg mit den Japanern herumzuschlagen. China ist Ihr Baby.«
     Die Dakota rollte auf sie zu und stoppte. Zwei Männer des Bodenpersonals schoben eine Treppe an die Maschine und warteten darauf, daß die Tür geöffnet wurde.
     »Demnach finden Sie nicht, daß ich vom guten alten Mao zuviel verlange?«
     »Zum Teufel, nein!« Stilwell lachte. »Um ganz ehrlich zu sein, Louis, wenn er einverstanden ist, dann erwarte ich nicht, daß Sie sehr viel für all die Hilfe zurückbekommen werden, die Sie ihm geben wollen.«
     »Immerhin mehr als nichts, alter Junge, besonders wenn er einverstanden ist.«
     Die Tür schwang nach außen, ein junger chinesischer Offizier tauchte in der Öffnung auf. Kurz darauf erschien Mao Tse­ tung. Er blieb für einen Moment stehen, in seiner schlichten Uniform und der Mütze mit dem roten Stern, und sah zu ihnen herüber. Dann kam er die Treppe herunter.
     Der 51jährige Mao Tse-tung, Vorsitzender der Chinesischen Kommunistischen Partei, war ein brillanter Politiker, ein Meister des Guerillakrieges und ein genialer Soldat. Er war außerdem der unversöhnliche Gegner Tschiang Kai-scheks, und die beiden Lager führten seit langem einen offenen Krieg gegeneinander, anstatt gemeinsam die Japaner zu bekämpfen.
     Im Büro nahm er an dem Schreibtisch des Stützpunkt­
    kommandanten Platz. Der junge Offizier bezog hinter ihm Posten. Neben Mountbatten und Stilwell stand ein Major der britischen Armee. Sein linkes Auge wurde von einer schwarzen Augenklappe bedeckt, und das Abzeichen an seiner Mütze wies ihn als Angehörigen eines schottischen Hochland­ regiments aus. Ein Korporal stand hinter ihm an der Wand. Er hielt eine Unterschriftenmappe unter dem linken Arm ge­ klemmt.
     Stilwell ergriff das Wort. »Es ist mir eine Ehre, Herr Vorsit­ zender Mao, bei den Verhandlungen als Dolmetscher fungieren zu dürfen«, erklärte er in fließendem Kantonesisch.
     Mao saß ihm gegenüber, musterte ihn mit unbewegter Miene, ehe er in perfektem Englisch erwiderte: »General, meine Zeit ist begrenzt.«
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