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Die Holzhammer-Methode

Die Holzhammer-Methode

Titel: Die Holzhammer-Methode
Autoren: Fredrika Gers
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mal ein Stündchen dauern.
    Die Spurensicherung kam aus Traunstein, das konnte also ebenfalls dauern. Holzhammer versuchte trotzdem nicht, sich selbständig auf Spurensuche zu begeben. Dafür würde er bloß wieder einen Rüffel kassieren, wegen «Verfälschens von Beweismitteln». Auf den ersten Blick allerdings sah es so aus, als sei der Schirm intakt – im Gegensatz zum Piloten. In Ermangelung entsprechender Pfosten blieb Holzhammer nichts anderes übrig, als ein Absperrband um den Toten herum auf die Erde zu legen. Dann stellte er sich zu den Neugierigen, die sich rund um seine improvisierte Absperrung ansammelten. Die meisten von ihnen fielen nach und nach vom Himmel. Allerdings langsamer, als es der Tote getan hatte.
    Noch vor einer halben Stunde hatte sich hoch über der großen Wiese ein ganzer Schwarm von Gleitschirmen in der Luft befunden. Sie waren knapp unterhalb der Bergstation der Jennerbahn gestartet, und die Mutigsten hatten sich bei den idealen Wetterbedingungen bis auf rund 3600  Meter über dem Meeresspiegel hinaufgeschraubt – 3  Kilometer über der Landewiese und immer noch einen Kilometer über dem Gipfel. Jetzt war der Himmel leer.
    Holzhammer hatte schon mehr Tote gesehen als die meisten anderen Dorfpolizisten. Das lag an der schönen Bergwelt. Es waren auch keineswegs nur Touristen, die sich in Gefahr begaben und dann darin umkamen. Holzhammer selbst hatte bereits drei gute Freunde am Berg verloren. Da war zum Beispiel der Familienvater gewesen, der beim winterlichen Ausflug auf die Kneifelspitze den Handschuh seiner kleinen Tochter vor dem Absturz retten wollte. Der Mann war Bergführer und die Kneifelspitze mit 1189  Metern nur ein besserer Hügel. Aber den Fehler, sich am verschneiten Gipfel einen Meter zu weit vorzuwagen, hatte sie nicht verziehen. 50  Meter weiter unten hatte die Bergwacht den Mann tot geborgen.
    Manchmal war es auch schwer zu erkennen, ob es sich um einen Unfall, Mord oder Selbstmord handelte, wenn eine vermisste Person nach vielen Tagen oder Wochen am Fuß eines Steilhangs gefunden wurde. Oder wenn die Ehefrau von einem Ausflug ohne ihren Mann zurückkehrte.
    Holzhammer war früher selbst viel in den Bergen herumgekraxelt. Alle wichtigen Routen war er damals gegangen. Einige hatte er zusammen mit seinem Bergspezi Sepp eröffnet. Als er noch rank und schlank war, hatte er eine richtige Kletterfigur gehabt: klein und drahtig. Klein war er immer noch.

    Seit einer halben Stunde starrte Dr. Dr. Christine Müller-Halberstadt aus ihrem Bürofenster, anstatt das Gutachten über die Panikattacken der vierzigjährigen Patientin zu schreiben, die sich vor ihrem eigenen Kater fürchtete. Doch die Tatsache, dass auf der blühenden Wiese vor der Klinik etwas Ungewöhnliches vorging, drang nicht in ihr Bewusstsein vor.
    Christine war eine ebenso zierliche wie energische Frau mit problematischen Haaren, die sie momentan durch Strähnchen aufzuwerten suchte. Sie leitete die psychosomatische Abteilung der Reha-Klinik Schönau. Das bedeutete, sie hatte mit den unterschiedlichsten Fällen zu tun, von der frustrierten, übergewichtigen Hausfrau über den scheinbar unheilbaren Schmerzpatienten bis hin zum Unfallopfer, das nach einer Amputation in schwerste Depressionen verfiel. In ihrem großen Büro stand ein riesiger Schreibtisch aus poliertem Buchenholz, auf dem sich Papierkram stapelte. An den Wänden reihten sich abschließbare Rollschränke. Für psychologische Gespräche gab es eine kleine Sitzecke mit einem bequemen Eileen-Gray-Sessel aus schwarzem Leder, passendem Glastisch und einem Ledersofa, von dem Christine wusste, dass es eine billige Kopie war. Die pompöse Einrichtung war nicht ihre Idee gewesen. Christine hätten ein IKEA -Schreibtisch und ein paar Holzstühle gereicht. Aber die Klinikleitung wollte, dass der Raum «Gediegenheit» ausstrahlte. Eine auf Reha-Kliniken spezialisierte Beratungsfirma hatte das empfohlen, um mehr Privatpatienten anzulocken.
    Für Christines Geschmack sah das Ganze mehr nach dem Büro eines Top-Managers aus als nach der Behandlung kranker Menschen. Und eine Behandlung hätte sie selbst momentan gut gebrauchen können. Vor einer halben Stunde hatte eine Frau angerufen und erklärt, sie sei die Freundin von Christines Mann, und dieser würde nicht mehr nach Hause kommen. Christine hatte nicht die geringste Ahnung gehabt, dass ihr Mann fremdging. Oder nicht haben wollen? Zugegeben, sie fuhr jeden Morgen sehr früh zur Arbeit, denn ihr
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