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Die Holzhammer-Methode

Die Holzhammer-Methode

Titel: Die Holzhammer-Methode
Autoren: Fredrika Gers
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Einheimischen oben alles weggeschleppt, und viele von den Sachen sind hier immer noch im Umlauf.»
    Auch als er anfing, massiv zu fummeln, legte Christine keinen Widerspruch ein. Sie genoss es sogar ein wenig. Ihr Mann hatte ihr lange nicht mehr so viel Aufmerksamkeit gewidmet. Und als Manu irgendwann süffisant fragte, ob sie das Zimmer im Alpenglück wieder abbestellen solle, nickte Christine bloß geistesabwesend.

    In der Morgendämmerung schlurfte Matthias mit einer Tasse Espresso in der Hand ins Wohnzimmer. Gestern im Nachtcafé war es etwas spät geworden, aber er ließ sich durch die Müdigkeit nicht von seinen allmorgendlichen Ritualen abhalten. Er nahm einen Zigarillo aus der Schachtel und trat hinaus auf den Balkon. Dann setzte er sich auf den bereitstehenden Barhocker, entzündete genüsslich den gehobenen Glimmstängel und paffte in die klare Morgenluft. Ab und zu nippte er an seinem Espresso.
    Er war umgeben von einem landschaftlichen Paradies, doch das nahm er genauso wenig wahr wie ein Fisch das Wasser, in dem er schwimmt. Für Matthias war die Bergwelt nichts Besonderes, er kannte sie von klein an, sie war schon immer da gewesen. Außerdem war er kein Naturbursche. Er fuhr lieber Motorrad, als sich zu Fuß die Hänge hochzuquälen.
    «Wen Gott liebt, den lässt er fallen in dieses Land», hatte Ludwig Ganghofer über das Berchtesgadener Land geschrieben. Und irgendwie hatte er damit auch recht, fand Matthias, aber er bezog das nicht auf die Landschaft, sondern eher auf die Ruhe und Abgeschiedenheit um ihn herum. Was hörte man nicht alles aus den Großstädten: Mord und Totschlag herrschte dort. Fast täglich, so kam es ihm vor, gab es Meldungen von Einbrüchen, Überfällen, Terrorwarnungen.
    Nein danke, dann lieber nur ein einziges Kino am Ort und das nächste Möbelhaus in Salzburg. Matthias hatte die Ganghofer-Bücher in der Schule lesen müssen. Am bekanntesten war «Die Martinsklause». Aber Matthias hatte «Der Mann im Salz» besser gefallen, in dem es um Aberglauben und Toleranz ging.
    Sein Haus lag «in der Schönau», wie die Einheimischen sagten, oder in der Gemeinde Schönau am Königssee, wie es seit der Zusammenlegung von Schönau und Königssee im Jahre 1978 offiziell hieß. Auf jeden Fall in der Gemeinde, die den gesamten Alpen-Nationalpark Berchtesgaden umfasste, während die Marktgemeinde Berchtesgaden für den Park nur der Namensgeber war. Der Ort Berchtesgaden wurde im inneren Landkreis nur «der Markt» genannt, wie in «ich muss in den Markt zum Zahnarzt».
    Von der Autobahn München-Salzburg aus gesehen, liegt die Schönau noch hinter Berchtesgaden – im allerletzten Zipfel Deutschlands, an drei Seiten bereits von Österreich umgeben. Von seinem Balkon hatte Matthias viele der von den Touristen und den Tourismusprospekten gerühmten Highlights direkt im Blick. Gleich hinter der Siedlung begann die Berglandschaft. Ackerfelder gab es nicht, und die Wiesen, die im Winter auch zum Langlaufen genutzt wurden, lagen alle in der Mitte des Talkessels. Rundherum verteilten sich Bauerngehöfte, einige Gasthäuser und Ferienpensionen, und hinter den Häusern zog sich der dunkelgrüne Nadelwald die Hänge hinauf.
    In der Almregion wurde die Landschaft wieder offener. Oberhalb der Baumgrenze erstreckte sich meistens ein schrofendurchsetzter Latschengürtel, und dort, wo die Berge noch höher hinaufreichten, begann schließlich die Mattenregion. Auf diesen natürlichen Freiflächen wuchsen karge Berggräser und Blumen wie Enzian, Leimkraut, Habichtskraut und Edelweiß. Viele dieser Blumen waren in der Lage, sich selbst auf kleinsten Absätzen festzukrallen, sofern nur eine winzige Humusportion vorhanden war. Wo es senkrecht wurde, gab es dann nur noch den nackten Fels. Und die Bohrhaken der Kletterer.
    Matthias mochte nicht klettern, obwohl er mit seinen langen Armen und Beinen dafür wohl geeignet gewesen wäre. Aber er war nicht schwindelfrei. Und er sah auch keinen Sinn darin. Sein Blick schwenkte zum Watzmann hinauf, über dessen Gipfel eine kleine weiße Wolke schwebte. Ansonsten war der Himmel blau. Die Wolke war zu klein für einen Hut, und Matthias fragte sich, ob der alte Spruch der Einheimischen anwendbar war: «Hat der Watzmann einen Hut, wird das Wetter gut.»
    Seine Nachbarin auf der anderen Straßenseite nutzte jedenfalls bereits die ersten Sonnenstrahlen für die Gartenarbeit. In Kittel und Gummistiefeln grub sie mit einem Spaten und großem Elan neben ihrem Komposthaufen
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