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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin
Autoren: Philippa Gregory
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kleinen Laden
aufhalten müsst …«
    Der ältere Mann ließ mich nicht los. Er hielt immer noch mein
Kinn und blickte mir forschend ins Gesicht.
    »Ich besitze Studien über die Bibel«, fuhr mein Vater hastig
fort. »Manche sehr alte in Latein und Griechisch und auch Bücher in
anderen Sprachen. Ich habe einige Zeichnungen römischer Tempel mit der
genauen Erklärung ihrer Proportionen, ich habe eine Abschrift einiger
mathematischer Tabellen für Berechnungen, die ich einst erhielt, aber
natürlich besitze ich nicht das Wissen, um sie zu verstehen, ich
besitze einige Anatomiezeichnungen des griechischen …«
    Endlich ließ der Mann namens John Dee mein Kinn los. »Darf ich
dann Eure Bibliothek sehen?«
    Ich sah, wie sehr es meinem Vater widerstrebte, diesem Mann
die Durchsicht der Regale und Schubladen mit seiner Sammlung zu
gestatten. Er fürchtete, nach den neuen Gesetzen könnten einige seiner
Bücher nun das Brandmal der Häresie tragen. Zwar waren die griechischen
und hebräischen Bücher über geheimes Wissen stets hinter der
Schiebewand des Bücherregals versteckt, doch selbst die Bücher, die
offen herumlagen, konnten uns in diesen unsicheren Zeiten in
Schwierigkeiten bringen. »Soll ich die Bücher herbringen, damit Ihr sie
ansehen könnt?«
    »Nein, ich komme mit Euch nach hinten.«
    »Selbstverständlich, Mylord«, gab mein Vater nach. »Es ist mir
eine Ehre.«
    Er ging voraus ins Hinterzimmer, und John Dee folgte ihm. Der
junge Lord Robert Dudley nahm auf einem der Hocker Platz und
betrachtete mich teilnahmsvoll.
    »Du bist zwölf?«
    »Ja, Sir«, log ich eilfertig, obwohl ich in Wahrheit fast
vierzehn Jahre zählte.
    »Und eine Maid, obschon als Junge gekleidet.«
    »Ja, Sir.«
    »Noch keine Heirat für dich arrangiert?«
    »Nicht so bald, Sir.«
    »Doch ein Verlöbnis in Sicht?«
    »Ja, Sir.«
    »Und wen hat dein Vater für dich ausgesucht?«
    »Ich soll einen Cousin aus der Familie meiner Mutter heiraten,
sobald ich sechzehn bin«, erwiderte ich. »Ich will es aber eigentlich
gar nicht.«
    »Du bist eine junge Maid«, spottete er. »Alle jungen Mädchen
sagen, dass sie eigentlich nicht wollen.«
    Ich warf ihm einen Blick zu, der meinem Widerwillen nur zu
deutlich Ausdruck gab.
    »Oho! Bin ich dir etwa zu nahe getreten, holde
Herrin – oder vielmehr, holder Knabe?«
    »Ich weiß, was ich will, Sir«, gab ich ruhig zur Antwort. »Und
ich bin keine Maid wie die anderen.«
    »Das liegt auf der Hand. Was also willst du, mein holder
Knabe?«
    »Ich will nicht heiraten.«
    »Und wie willst du dann satt werden?«
    »Ich möchte mein eigenes Geschäft und möchte meine eigenen
Bücher drucken.«
    »Und glaubst du denn, dass ein Mädchen, selbst ein so hübsches
in Kniehosen, ohne einen Ehemann zurechtkommen kann?«
    »Ich bin sicher, dass ich es könnte«, erwiderte ich. »Die
Witwe Worthing, die auf der anderen Seite der Gasse wohnt, hat auch ein
Geschäft.«
    »Eine Witwe hat aber schon einen Ehemann gehabt, der ihr ein
Auskommen sicherte. So muss sie sich darum nicht mehr kümmern.«
    »Ein Mädchen kann doch auch Geld verdienen«, beharrte ich.
»Ich könnte mir vorstellen, dass auch ein Mädchen ein Geschäft führen
kann.«
    »Und was sonst könnte ein Mädchen führen?«, neckte er mich.
»Etwa ein Schiff? Oder ein Heer? Ein Königreich gar?«
    »Ihr werdet noch sehen, dass eine Frau ein Königreich
beherrscht, Ihr werdet eine Frau als beste Herrscherin der Welt
erleben«, entgegnete ich – und hielt jäh inne, als ich seine
Miene gewahrte. Ich schlug die Hand vor den Mund. »So etwas wollte ich
nicht sagen«, flüsterte ich. »Ich weiß, dass eine Frau immer der
Führung ihres Vaters oder ihres Gatten bedarf.«
    Er sah mich an, als würde er gern mehr hören. »Glaubst du,
mein holder Knabe, dass ich noch erlebe, wie eine Frau ein Königreich
regiert?«
    »In Spanien ist dies schon geschehen«, sagte ich kläglich.
»Mit Königin Isabella.«
    Er nickte und beließ es dabei, als wollte er uns beide von
gefährlichen Ufern fernhalten. »Nun denn. Weißt du, wie man zum
Whitehall-Palast kommt, holder Knabe?«
    »Ja, Sir.«
    »Wenn Mr. Dee die Bücher ausgewählt hat, die ihn
interessieren, bringst du sie dann zu mir, in meine Gemächer?
Einverstanden?«
    Ich nickte.
    »Wie gedeiht das Geschäft deines Vaters?«, erkundigte er sich
unvermittelt. »Verkauft er viele Bücher? Habt ihr viele Kunden?«
    »Ein paar«, erwiderte ich vorsichtig. »Aber wir stehen auch
erst am Anfang.«
    »Deine Gabe
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