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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin
Autoren: Philippa Gregory
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Mitte und Lauben mit steinernen Bänken. Der
Wachsoldat führte mich durch den ersten Garten. Er ließ mir keine Zeit,
die prächtig gekleideten Lords und Ladys anzustarren, die, durch viel
Pelz und Samt vor der Kälte geschützt, sich bei einem Kugelspiel auf
dem Rasen vergnügten. Hinter der Tür, die wiederum von einem Paar
Soldaten bewacht wurde, befand sich ein großer Raum mit noch mehr
adeligen Herren und Damen, danach kam ein weiterer riesiger Raum, und
dann noch einer. Mein Führer geleitete mich noch durch etliche Türen,
bis wir in einen langen Wandelgang kamen, an dessen Ende ich Robert
Dudley gewahrte. Ich war so erleichtert, ihn zu sehen, weil er der
einzige Mensch war, den ich im ganzen Palast kannte, dass ich einige
Schritte auf ihn zurannte und laut »Mylord!« rief.
    Mein Führer machte Anstalten, mich zurückzuhalten, doch Robert
Dudley winkte ab. »Holder Knabe!«, begrüßte er mich freudig. Er stand
auf, und nun sah ich auch seinen Gefährten. Es war der junge König,
König Eduard, ganze fünfzehn Jahre alt und wunderschön gekleidet in
vornehmen blauen Samt, doch mit einem Gesicht von der Farbe entrahmter
Milch und schmächtiger als alle Jungen, die ich bisher gesehen hatte.
    Ich beugte mein Knie, hielt meines Vaters Bücher fest und
versuchte gleichzeitig, meine Kappe zu ziehen. Lord Robert stellte mich
vor: »Dies ist das Mädchen, das zugleich ein Junge ist. Meint Ihr
nicht, sie würde eine wunderbare Schauspielerin abgeben?«
    Ich wagte nicht aufzuschauen, aber ich hörte die Stimme des
Königs, ganz schwach vor Schmerzen. »Ihr habt wunderliche Anwandlungen,
Dudley. Warum sollte ausgerechnet sie eine Schauspielerin werden?«
    »Wegen ihrer Stimme«, erklärte Dudley. »So eine wunderbar süße
Stimme, und dann dieser Akzent, halb spanisch und halb Londoner, ich
könnte ihr immerzu zuhören. Und sie hat eine Körperhaltung wie eine
Prinzessin in den Lumpen eines Bettlers. Findet Ihr nicht, dass sie ein
reizendes Kind ist?«
    Ich hielt den Kopf gesenkt, damit er die Röte nicht sehen
konnte, die mir ob dieses Lobes in die Wangen gestiegen war. Ich sog
die Worte begierig in meine magere Brust auf. ›Prinzessin in
Bettlerlumpen‹, ›süße Stimme‹, ›reizend‹.
    Die Stimme des jungen Königs holte mich in die Wirklichkeit
zurück. »Nun, und welche Rolle soll sie spielen? Ein Mädchen, das einen
Jungen spielt, der ein Mädchen spielt. Außerdem ist es nach der
Heiligen Schrift verboten, dass sich ein Mädchen wie ein Junge
kleidet.« Seine Stimme ging in einem Hustenanfall unter, der ihn
schüttelte, wie ein Bär einen Hund schütteln mag.
    Ich schaute auf und sah Dudley eine Bewegung zu dem jungen
Mann hin machen, als wollte er ihn stützen. Der König nahm sein
Taschentuch vom Mund, und ich sah flüchtig einen dunklen Flecken,
dunkler als Blut. Rasch steckte er sein Taschentuch weg.
    »Es ist keine Sünde«, sagte Dudley beschwichtigend. »Dieses
Mädchen ist keine Sünderin. Sie ist eine heilige Närrin. In der Fleet
Street hat sie einen leibhaftigen Engel wandeln sehen. Könnt Ihr Euch
so etwas vorstellen? Ich war dabei – sie hat ihn wirklich
gesehen.«
    Der jüngere Mann wandte sich sogleich zu mir, und sein Gesicht
strahlte vor Eifer. »Du kannst Engel sehen?«
    Ich blieb auf meinem Knie und senkte den Blick. »Mein Vater
sagt, ich bin eine Närrin«, versuchte ich auszuweichen. »Verzeiht mir,
Euer Gnaden.«
    »Aber du hast tatsächlich einen Engel in der Fleet Street
gesehen?«
    Ich nickte mit niedergeschlagenen Augen. Meine Gabe konnte ich
nicht verleugnen. »Ja, allergnädigster Herr. Verzeiht. Ich hatte Euch
missverstanden. Ich wollte niemanden kränken und …«
    »Was kannst du in meiner Zukunft sehen?«, fiel er mir ins Wort.
    Nun blickte ich auf. Jeder hätte den Schatten des Todes auf
seinem Gesicht erkannt, an seiner wächsernen Haut, den geschwollenen
Augen, seiner Magerkeit, selbst ohne den Beweis im Taschentuch. Ich
versuchte, wieder auszuweichen, aber dann strömten die Worte gegen
meinen Willen aus mir heraus. »Ich sehe, wie sich die Pforten des
Himmels öffnen.«
    Wieder machte Robert Dudley diese kleine Bewegung, als ob er
den jungen König stützen wollte, doch dann ließ er die Hand sinken.
    Der junge König war mir nicht böse. Er lächelte. »Dieses Kind
sagt die Wahrheit, wo alle anderen lügen«, sagte er. »Ihr anderen lauft
nur herum auf der Suche nach neuen Lügen. Aber diese Kleine
hier …« Er geriet außer Atem und begnügte sich damit,
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