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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer
Autoren: Wolf Serno
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Ist das auch ein Tier?«
    »Ja. Es lebt in Afrika, jenseits der Barbareskenküste. Der Strauß ist wichtig bei der Bereitung des Steins der Weisen. Die letzten Schritte dieses Vorgangs, so die Lehre, müssen im zugeschmolzenen Figierglas erfolgen.« Lapidius, bei einem seiner Lieblingsthemen angelangt, entging, dass die Frau seinen Ausführungen nicht folgen konnte.
    »Und das da?«, fragte sie.
    »Das ist ein Alambic. Alambic ist arabisch und bedeutet Destillationskolben. Dieser ist doppelschnablig und besonders groß, weshalb er in einem eisernen Dreibein ruht.«
    »Aha. Na, ich leg mich dann noch mal aufs Ohr.« Ihr Interesse an seiner Arbeit war erloschen. Ihr Brot war aufgegessen, und sie verließ den Raum.
    »Ja, mach das.«
    Lapidius bedauerte es ein wenig, dass sie so abrupt ging.
    Erst am frühen Nachmittag kam sie wieder. Lapidius, der die Zeit eigentlich hatte nutzen wollen, um an seiner Variatio VI zu arbeiten, war eingefallen, dass zur Syphilisbehandlung ein Quecksilber-Unguentum vonnöten war. Da der Apotheker ein solches Präparat nicht bereithielt, hatte er sich selbst an die Herstellung der Salbe machen müssen. Er hatte rotes iodiertes Quecksilberpulver genommen und eine gute Menge gewärmtes Äthanol dazugegeben, damit eine breiige Masse entstehen konnte. Anschließend hatte er diese mit einer gehörigen Portion Wollfett vom Schaf vermischt und das Ganze noch einmal kräftig durchgeknetet. Das so entstandene Unguentum war von zufrieden stellender Geschmeidigkeit, auch wenn der Geruch zu wünschen übrig ließ.
    »Gut, dass du kommst«, sagte Lapidius. Er wies auf die rötliche Masse. »Da kann ich dir gleich zeigen, womit die Schmierbehandlung durchgeführt wird.«
    Sie trat heran, steckte den Finger in die Salbe und hielt ihn an die Nase. »Das riecht nach Stall.«
      Das Fett der Schafwolle gibt der Salbe den Halt.«
    »Und damit soll die, äh … Syphilis weggehen?«
    »Nein, das besorgt das Hydrargyrium, ich meine, das Quecksilber.« Lapidius unterdrückte den Zusatz: »So Gott will.« Stattdessen sagte er: »Es sorgt dafür, dass die kranken Säfte der Syphilis ausgeschwitzt werden können.«
    »Wie lange dauert das?«, fragte sie.
    »Streif den Finger am Behälter ab. Du kommst mit dem Quecksilber noch früh genug in Berührung.«
    »Wie lange dauert die Kur? Ihr wollts mir wohl nicht sagen?«
    »Hast du das in der Folterkammer nicht mitbekommen? Zwanzig Tage.«
    » Zwanzig Tage?«
    »Ganz recht.« Lapidius fiel ein, dass man am besten daran tat, mit Freyja Säckler ein klares Wort zu reden. »Du wirst zwanzig Tage in der Hitzkammer verbringen und dabei ununterbrochen schwitzen. Wie ein Ochse im Joch.«
    »Jesus Christus!« Zum ersten Mal sah Lapidius die junge Frau außer Fassung. »Zwanzig Tage lang schwitzen?«
    »In der Hitzkammer.«
    So plötzlich Freyja Säcklers Ausbruch gekommen war, so schnell hatte sie sich wieder in der Gewalt. Trotzig reckte sie das Kinn vor. »Pah! Das schreckt mich nicht. Zwanzig Tage in dieser Hitzkammer sind allemal besser als zwanzig Tage im Kerker.«
    Lapidius schwieg. Er war da keineswegs sicher.
    »Wo ist die Kammer überhaupt? Wie groß ist sie? Was steht drin?«
    »Die Hitzkammer befindet sich im Oberstock meines Hauses. Sie enthält keine Gegenstände, dafür ist sie zu klein. Sie ist so klein, dass du in ihr nur liegen kannst.«
    »Jesus Christus! Da ist mir doch der Kerker lieber!«
    »Du hast nicht die Wahl zwischen Hitzkammer und Kerker. Du hast nur die Wahl zwischen Hitzkammer und Tod.« Lapidius’ Stimme klang kälter, als er eigentlich wollte.
    Sie presste den Mund zusammen und starrte auf ihre verbundenen Daumen. »So schlimm wirds schon nicht sein.« »Doch. Es hat keinen Zweck, dir etwas vorzumachen. Die Syphilis ist tückisch wie ein angeschossener Keiler. Niemand kennt sie genau, denn sie tritt erst seit wenigen Jahrzehnten auf. Es heißt, am Anfang wären die Kranken ihr schon nach wenigen Monaten erlegen – sabbernd, gelähmt, in geistiger Umnachtung. Es heißt aber auch, dass sie sich gewandelt habe und dass sie zunehmend Freude daran fände, ihre Opfer langsam zu zerstören. Jahrzehnte könnten darüber vergehen, immer jedoch sei sie es, die am Ende obsiegt. Allerdings ist das, wie ich hinzufügen will, nur dann der Fall, wenn man sich ihr kampflos ergibt. Wirst du kämpfen?«
    Freyja löste den Blick von ihren Daumen und sah Lapidius mit ihren blaugrünen Augen an.
    »Wirst du kämpfen?«
    »Ja«, sagte sie nach einer Weile, die
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