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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman
Autoren: Heyne
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den Gedanken an Hexenwerk und Magie loswerden. Als ihr Blick jedoch auf den großen Brandfleck fiel, der neben dem Herd auf dem Küchenboden prangte, stieg ihr Blutdruck merklich an. Dort befand sich ein Schatten auf der Oberfläche, der trotz aller Bemühungen noch immer von dunklen, bösartigen Adern durchzogen wurde – Hohlkehlen, in denen das weißglühende Metall geleuchtet hatte, als es sich in ihren Küchenboden fraß. Sie keuchte. Nur mit Mühe unterdrückte sie den Impuls, die Hand zu heben und einen Abwehrzauber in die Luft zu schreiben, Zeichen ohne Sinn und Zweck, die ihr eine bloße Laune eingab.
    Ihre Schwester bemerkte das Zucken ihrer Finger, den angstvollen Blick, den sie auf den Boden warf. Sie stand auf und trat so dicht hinter Ravenna, dass diese die hitzigen Wogen spürte, die von Yvonnes Körper ausgingen. »Da hast du es«, flüsterte die Jüngere. »Ist dir klar, was dieser Kerl hier veranstaltet hat? Das war eine schwarze Messe, Ravenna, das Werk eines dämonischen Hexenmeisters, der …«
    »Schluss jetzt!«, stieß Ravenna in heftigem Ton hervor. Yvonne legte den Kopf schräg und starrte sie an. Sie stemmte die Handflächen auf den Rand der Arbeitsfläche und versuchte, sich zu beruhigen. »Ich will kein Wort mehr davon hören. Ich glaube nicht an übersinnliche Zauberei, an okkulte Rituale und dergleichen. Hier ist nichts geschehen, was nicht in jeder anderen Wohnung in diesem Gebäude auch hätte passieren können. Ein Spinner ist hier eingedrungen – nun gut. Jetzt ist er wieder weg und das Leben geht weiter.«
    Während sie die Worte hervorstieß, wusste sie, dass sie sich selbst etwas vorlog. Der Einbruch hatte sich tief in ihr Gedächtnis gebrannt, so wie der Brandfleck in ihren Küchenboden. Nichts war mehr wie vorher. Wenn sie an ihr Leben dachte, war es, als ob sie ein Bild betrachtete, in dem eine Kleinigkeit verschoben worden war, ein Fehler, eine winzige, beunruhigende Abweichung, die den Betrachter in den Wahnsinn trieb.
    »Glaubst du wirklich, der Kerl hat sich zufällig deine Wohnung ausgesucht? Ausgerechnet ein Appartement im obersten Stock?«, raunte Yvonne ihr ins Ohr. »Nie im Leben, Raven. Der wusste genau, was er suchte: eine Quelle magischer Macht, eine Gabe, die er anzapfen konnte. Und nun schau dich an, wie blass und eingefallen du aussiehst. Als ob du insgeheim ausblutest! So etwas passiert nur, wenn man verflucht wurde.«
    Ravenna hob den Kopf. Sie spiegelten sich im Glas der aufgeklappten Abdeckung des Herds, zwei Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein konnten: Yvonne, blond, unbekümmert und lebhaft, sie selbst dunkel, spröde und verschlossen. Eine Elfe und eine Kriegerin. So hatten sie sich als Kinder in ihren wilden Spielen oft selbst bezeichnet.
    Mit einem Achselzucken entzog sie sich der Umarmung ihrer Schwester. »Mir geht es gut«, log sie. »Alles bestens. Und jetzt will ich nichts mehr davon hören.«
    Yvonne ließ sich von ihrer ablehnenden Haltung nicht beirren. Sie schlenderte zum Küchentisch und ließ die Finger über den Bücherstapel tanzen. »Flüche und Schadenszauber, solche Dinge passieren gar nicht so selten, auch in der heutigen Zeit. In diesen Werken steht so einiges über Hexenkunst, natürlich auch über Schutzmagie. Mittlerweile gibt es wieder Hunderte von Zirkeln, die die alten Traditionen neu beleben. In ganz Europa suchen die Menschen nach Spuren ihrer Vergangenheit – einer Vergangenheit, die man früher mit Feuer und Schwert bekämpfte. Doch Magie ist keineswegs spurlos verschwunden! Wenn du mit offenen Augen durch die Straßen gehst …«
    »Wenn ich es nicht tue, werde ich vom Bus überfahren«, unterbrach Ravenna sie trocken. Sie stieß sich vom Rand der Arbeitsfläche ab, holte ein Schälchen aus dem Schrank und füllte es bis zum Rand mit Katzenfutter, in der Hoffnung, diese alltäglichen Handgriffe würden sie beruhigen. Sofort sprang Merle vom Bücherstapel herunter und folgte ihr in den Flur.
    »Die Katze wird noch verhungern, wenn du dich nicht besser um sie kümmerst!«, schimpfte Ravenna. Ihre Schwester beobachtete sie durch die offene Tür, während sie die Katzenbabys mit der Fingerkuppe streichelte. Die Kleinen räkelten sich und gähnten wie winzige Löwen. »Ich frage mich sowieso, warum du Merle nicht bei unseren Eltern gelassen hast. Da könnte sie in der Scheune Mäuse fangen und ihre Jungen zu echten Hofkatzen erziehen.«
    Yvonnes Miene verdüsterte sich, als Ravenna in die Küche zurückkehrte. »Du
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