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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman
Autoren: Heyne
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genau das war dem nächtlichen Angreifer gelungen. Ein Psychopath, der ihr aufgelauert hatte, ein Irrer, der gekommen war, um mit ihr seine kranken Spiele zu spielen.
    Sie stieß die Tür auf und betrat den Flur. Schon im Treppenhaus hatte sie den Duft von Weihrauch und geschmolzenem Wachs gerochen. Schwaden von verbranntem Lavendel erfüllten den Gang und der Spiegel über der Kommode war mit einem Tuch verhüllt.
    »Yvonne?«
    Vor der Küchentür lagen abgetretene Schuhe: flache Sandalen, Turnschuhe, Stiefeletten und ein Paar roter Pumps mit schief abgelaufenen Absätzen. Merle und die kleinen Kätzchen kuschelten sich in ihrem Korb eng aneinander und blinzelten ins Licht.
    »Yvonne!«
    Ravenna stieß die Küchentür auf. Beim Anblick, der sich ihr in dem engen Raum bot, schnappte sie nach Luft.
    Der Tisch war zur Seite geschoben worden und das Fensterbrett glich einem Altar, auf dem Blumensträuße, zwei Tarotkarten, eine Opferschale mit Früchten und eine ägyptische Statuette standen. Auf den Dielen flackerte ein Ring aus Kerzen, in den getrocknete Vogelbeeren, Apfelblüten, Beifuß und Bernstein gestreut waren. Mit ihren barfüßigen Freundinnen stand Yvonne in diesem Ring, so dass jede junge Frau der anderen das Gesicht zuwandte. Auf die Stirnen hatten sie einander Mondsicheln und blaue Spiralen gemalt. Sie hielten die Augen geschlossen und summten alle denselben Ton.
    In der Hand hielt Yvonne eine flache, qualmende Schale aus Messing. Ihre Freundinnen hielten ein Messer, einen violetten Kristall und eine lodernde Fackel.
    Eine Fackel – mitten in der Küche unter dem Dach!
    Das blasse, sommersprossige Mädchen in dem Leinenkleid hob die Flamme soeben empor, bis diese beinahe die Deckenbalken berührte. Die geschliffene Kristallträne über dem Herd sprühte Regenbogenfunken über die Wände.
    »Mächte der Flamme!«, beschwor Clara das Feuer mit piepsiger Stimme. »Zeigt euch unter uns!«
    Mit einem Satz war Ravenna bei ihr, riss ihr die Fackel aus der Hand und stieß sie mit der Flamme nach unten in den Spülstein. Die Glut zischte, als sie den Hahn aufdrehte und Wasser über den angekohlten Stiel laufen ließ.
    »Seid ihr übergeschnappt? Ihr setzt noch das Haus in Brand mit euren Spinnereien! Was veranstaltet ihr eigentlich hier?«, fauchte sie.
    Ihre Schwester war aus der Trance erwacht. Yvonnes Augen blitzten. Sie trug das Haar offen, die hellblonden Locken fielen ihr über die Schultern und ihr Gesicht war gerötet.
    »Wie kannst du es wagen, unser Ritual zu stören!«, fuhr sie auf. »Gerade wollten wir die Mächte der Elemente rufen, doch dann platzt du hier herein und machst alles kaputt!«
    Die anderen Mädchen tauschten erschrockene Blicke, als sie den Zorn der beiden Schwestern spürten. »Lösch die Flammen!«, befahl Ravenna. »Sonst gibt es noch ein Unglück.« Die Katze huschte zur Tür herein und strich ihr um die Beine, unberührt von ihrem Ärger. »Sieh doch bloß, was du hier anrichtest. Der ganze Boden ist voller Wachs. Und überall Tücher, Teekräuter und deine Bücher auf dem Stuhl – ein Funke und euer Ritual verwandelt den ganzen Stadtteil in eine Feuersbrunst.«
    Das Wort Ritual hatte sie mit beißendem Spott ausgesprochen. Yvonne durchquerte den Kreis aus flackernden Kerzenlichtern.
    »Untersteh dich, dich über unseren Zirkel lustig zu machen! Weißt du nicht, dass heute die Nacht vor dem Beltaine-Fest ist? Schon vor Tausenden von Jahren kamen die Hexen an diesem Abend zusammen, um einen mächtigen Bannkreis zu schließen!«
    »Bannkreis hin oder her«, gab Ravenna kühl zurück. »In meiner Küche veranstaltet ihr keinen Hexentanz. Clara, Marie, Juliana – es wird Zeit für Euch zu gehen.«
    Sie hob die Katze hoch und streichelte Merles seidiges Fell. Gleichzeitig starrte sie die drei jungen Frauen erwartungsvoll an. Unruhig begannen die Mädchen nach ihren Schuhen und Jacken zu suchen. Yvonnes hübsches Gesicht verzerrte sich vor Zorn.
    »Nein!«, schrie sie und stampfte mit dem Fuß auf. »Nein! Du wirst diesen Abend nicht verderben! Du wirst uns nicht daran hindern, eines der wichtigsten Feste des keltischen Kalenders zu feiern! So wie dieser dämliche, kleine Marienkäfer, der vorhin zum Fenster hereinflog, und seine Flügel beinahe an einer Kerze …«
    Mitten im Satz hielt Yvonne inne und berührte den Mundwinkel mit dem Finger. Als sie den Mund öffnete, krabbelte der Käfer hervor und hing wie ein glänzender Blutstropfen an ihren Lippen.
    »Das gibt’s doch
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