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Die Hexe von Freiburg (German Edition)

Die Hexe von Freiburg (German Edition)

Titel: Die Hexe von Freiburg (German Edition)
Autoren: Astrid Fritz
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des Magistrats verfasse ich eine wissenschaftliche Abhandlung.»
    Aber auch diese Zeit ging zu Ende, und als Textor ein letztes Mal seine Schreibutensilien zusammenpackte und sich mit bleichem Gesicht verabschiedete, ließ sie sich vollends in ihr Schattenreich fallen, zu dem nichts und niemand mehr Zutritt hatte. Wenn sie überhaupt fähig war, etwas zu fühlen, dann die ruhige Ermattung eines Kranken, der weiß, dass er auf dem Weg der Genesung ist. Sie begegnete Marthe und stand mit ihr im blühenden Obstgarten, lief mit Moses über endlose Wiesen und Felder, ließ sich von Christoph durch dunkelblaue Wogen tragen, saß mit Marthe-Marie am Hafen von Konstanz, ihrer Marthe-Marie, in der sie weiterleben würde. Immer wieder besuchte sie ein winziger Greis mit roter Kapuze und leeren Augenhöhlen, der ihre Hand hielt und mit trauriger Stimme bedauerte, dass sie nicht mehr auf sich Acht gegeben und auf seinen Rat gehört habe. Auch Michael Bantzer kam, doch sie schickte ihn weg, ebenso wie Benedikt.
    Dann erschien Lene, mitten in der Nacht, mit einer blakenden Tranlampe in der Hand, und streichelte ihr über das Gesicht. Ihr Haar war grau geworden, ihre Wangen tränennass.
    «Weine nicht, es ist doch alles gut», sagte Catharina, obwohl ihr das Sprechen sehr schwer fiel. «Wie geht es den Kindern? Hast du sie mitgebracht?»
    «Ferdi hat mich begleitet, er wartet bei dir zu Hause auf uns.»
    Catharina sann darüber nach, was Lenes Worte zu bedeuten hatten. Erst nach geraumer Zeit fand sie in die Wirklichkeit zurück.
    «Wie – bist du – hereingekommen?»
    «Der Wächter hat mich eingelassen. Ich habe den Schlüssel für deine Ketten.»

    Ich kam zu spät. Catharina hatte mit dem Leben abgeschlossen. Dabei war alles bestens vorbereitet. Wir hatten herausgefunden, dass die Katzenpforte in jener Nacht unbewacht war. Unten auf der Straße wartete Christoph, um Cathi nach Basel zu bringen. Von ihm hatte ich das Säckchen mit Goldstücken, um den Wächter zu bestechen. Christoph hatte es gut gemeint, als er mich in den Turm schickte, er glaubte, dass eine Frau das Herz des Wächters eher erweichen würde. Nun, fast hatte er Recht, wenn auch in anderem Sinne. Die Goldstücke genügten dem Hundsfott von Wächter nicht, doch es gibt Momente im Leben, Marthe-Marie, die bringt man mit geschlossenen Augen ohne Hadern hinter sich, so wie die Liebesdienste für diesen Widerling.
    Als ich endlich mit den Schlüsseln in der Zelle stand und Catharina fragte, ob sie aufstehen könne, schüttelte sie den Kopf.
    «Lieb von dir, dass du mich besucht hast, aber ich muss jetzt schlafen. Ich habe morgen früh viel Arbeit. Die Setzlinge müssen ins Frühbeet, und Elsbeth kommt mit dem Bierbrauen allein nicht zurecht. Und für Marthe-Maries Namenstag möchte ich noch einen Kuchen backen. Komm doch ein andermal vorbei, ja?»
    «Cathi!»
    Ich nahm sie bei den Schultern, wollte sie schütteln, doch sie legte mir ihre verbundene Hand auf den Mund.
    «Psst, leise, Christoph schläft schon. Geh jetzt, Lene, bis bald.»
    Dann streckte sie sich auf dem stinkenden Stroh aus und rührte sich nicht mehr. Ich legte mich neben sie, nahm sie in die Arme und beschloss, sie nie wieder zu verlassen. Doch irgendwann kam der Wächter und brachte mich mit Gewalt hinunter auf die Straße .
    In jener Nacht ergriff mich hohes Fieber, und mein Haar färbte sich so schlohweiß, wie du es jetzt vor dir siehst. Wenn ihr Kinder nicht gewesen wärt – wer weiß, ob ich jemals meinen Lebensmut wiedergefunden hätte.
    Ach ja, du fragtest eben, was aus diesem Siferlin geworden ist. Wenigstens in seinem Fall ließ der Himmel Gerechtigkeit walten. Genau ein Jahr nach Catharinas Tod wurde er der fortgesetzten Veruntreuung und des Betrugs überführt. Da er als Buchhalter im Dienste der Stadt tätig war, fiel die Strafe besonders schwer aus: Er wurde aufs Rad geflochten, ohne die Gnade der vorherigen Enthauptung.
    Ich komme zum Ende, Marthe-Marie. Doch ich habe nicht die Kraft, die Worte auszusprechen. Nimm diese Blätter und lies, es sind die letzten Seiten von Doktor Textors Aufzeichnungen.
     
    Am nächsten Morgen betrat der Henker Catharinas Gefängnis und riss als Erstes das Stroh aus der Fensteröffnung. Helles Licht strömte in den engen Raum. Verschreckt suchten die Ratten nach einem Unterschlupf. Dann befreite er Margaretha und Catharina von ihren Eisen. Blinzelnd rieb sich Catharina mit ihren verbundenen Fäusten die entzündeten Handgelenke. Wieso war es auf einmal
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