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Die Hexe und der Herzog

Die Hexe und der Herzog

Titel: Die Hexe und der Herzog
Autoren: Brigitte Riebe
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wollen sie alle. Aber so einfach geht das nun mal nicht. Schließlich gibt es jede Menge Vorschriften, Regeln, Etikette …« Er stieß einen Seufzer aus. »Tagtäglich schlagen wir uns damit herum. Wenn überhaupt, dann kann dir einzig und allein unser verehrter Ritter von Spiess den Weg ebnen, Hofmeister Seiner Hoheit. So ist das nun mal bei Hof, wo alles seine Ordnung braucht.«
    »Aber ich muss! Es ist immens wichtig. Ich möchte doch nur …«
    »... wieder ganz gesund werden? Dann tust du jetzt am besten genau das, was ich dir sage.«
    Gehorsam trank sie den Becher aus, den er ihr reichte, obwohl das Gemisch ranzig roch und unangenehm süßlich schmeckte. Als sie sich wieder zurückgelegt hatte, säuberte er mit feuchten Lappen ihr verschmutztes Kleid, ebenso wie das Ruhebett, so umsichtig und geschickt, als sei es eine Selbstverständlichkeit. Danach breitete van Halen eine Felldecke über sie.
    »Warm brauchst du es jetzt«, sagte er. »Wärme und Ruhe. Für den Moment gibt es keine besseren Heilmittel.«
    »Wozu dieser Aufwand? Ich meine, wieso tut Ihr das alles?«, fragte sie. »Für solch dreckiges Bauernpack wie mich?«
    Sie hörte ihn lachen.
    »Zumindest deine Ohren scheinen mir ganz in Ordnung geblieben zu sein, das ist schon mal sehr beruhigend. Musst wissen, unser kleiner Herr Thomele, seines Zeichens Hofzwerg, ist allerorts bekannt für sein loses Mundwerk. Aber glaubst du denn, Herzog Sigmund könnte an Scherereien gelegen sein, ausgerechnet jetzt, wo die Stadt schon bald von hohen ausländischen Gästen nur so wimmeln wird? Sogar der Kaiser hat sich für die anstehende Hochzeit angesagt, dazu jede Menge Herzöge, Grafen, Bischöfe und Ritter – und dann so etwas? Ein junges Leben, das durch seine Schuld zu Schaden käme? Das wäre wohl so ziemlich das Letzte, was er gebrauchen könnte.«
    Van Halen stammte nicht von hier, das hatte sie schon nach wenigen Worten erkannt, obwohl er sich so fließend und gewandt ausdrücken konnte wie kaum ein anderer. Doch seiner Sprache fehlten jene hart-kehligen Konsonanten, die für das »Land zwischen den Bergen«, wie Tirol allerorts genannt wurde, bezeichnend waren. Der Tonfall des Medicus dagegen war leicht und fröhlich, machte ständig Sprünge und klang in Lenas Ohren wie eine Art Singsang, der sie unwillkürlich zum Lachen reizte. Irgendwann hatte sie schon einmal jemanden genauso reden hören, doch das lag eine ganze Weile zurück. Außerdem waren es viele, die auf ihrer Fahrt nach Süden im Gasthof der schwarzen Els, der seit einiger Zeit auch Poststation war, die Pferde wechselten …
    »Wo ist Hella?«, murmelte Lena. Wohlige Müdigkeit hatte sie überkommen, die ihre Zunge immer schwerer machte. »Meine Freundin. Ist sie noch hier?«
    »Die kleine Blonde mit dem hungrigen Blick?« Der Medicus schien bereits weit, weit entfernt. »Um die brauchst du dir keine Sorgen zu machen, Lena! Solche wie sie kommen immer zurecht.«
    Lena hörte, wie er den Raum verließ.
    Irgendwo knackten Zweige, die wohl im Kamin brannten, und die Wärme des großen, weichen Fells, das Lena wie etwas Lebendiges umschmiegte, war tröstlich. Immer noch dröhnte und brummte es in ihrem Kopf, als habe sich ein Stock wilder Bienen darin verirrt, doch die heftige Übelkeit begann sich zu legen.
    Sie war in der Hofburg!
    Jetzt musste sie nur noch bis zum Herzog gelangen und ihm sagen, dass sie …
    Ihre Lider waren bleischwer geworden. Die Augäpfel begannen sich unruhig zu bewegen.
    Sein Kopf ist um vieles größer, als sie bislang geglaubt hat, und er trägt nun kein Barett mehr, sondern einen spitz zulaufenden Hut, wie sie ihn einmal auf dem Jahrmarkt bei einem Jongleur gesehen hat. Anstelle der Lumpenbälle, die jener damals in der Luft zum Tanzen gebracht hatte, sind es nun goldene Kugeln, die um den Herzog fliegen. Fünf, sieben, neun, elf – es scheinen mehr und immer noch mehr zu werden, bis Lena das Zählen entmutigt einstellt. Während sie wie von Zauberhand kreisen und purzeln, bekommen sie kleine Beulen, die sich nach und nach zu scharfen Spitzen formen.
    Dann scheinen sie sich anders zu besinnen und rasen plötzlich auf sie zu. Erschrocken beginnt Lena loszurennen, doch sie steckt in einem neuen, schweren Kleid mit langer Schleppe, das ihr viel zu groß ist und das Laufen erschwert. Immer wieder stolpert sie über den Saum, hört das Ächzen und Reißen der Nähte und bekommt Angst, schon im nächsten Augenblick nackt und bloß dazustehen. Voll Panik schaut sie im
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