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Die Hexe soll brennen

Die Hexe soll brennen

Titel: Die Hexe soll brennen
Autoren: Manfred Böckl
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unbeholfen in die Kruste geritzt drei Kreuze. Katharina drückte sich in die Kate und nahm ihren Platz an der Schmalseite des Tisches ein. Am anderen Ende der hellen Platte aus Ahornholz saß der Vater, Johann Grueber, hager wie alle in dieser Familie, zu seiner Linken die Mutter Gertrud, ihr gegenüber Balthasar, der sechzehnjährige Bruder Katharinas.
    Johann Grueber warf einen mißbilligenden Blick auf seine Tochter, bemerkte ihre Verwirrung nicht, runzelte lediglich die Stirn unter fettigem, strähnigem Haar und murmelte: »Kommst spät!« Damit ließ er es aber genug sein und sagte lauter: »Wir wollen beten.« Die Stimmen der vier Menschen am Tisch mischten sich, verwoben sich ineinander in einem einfachen Rhythmus, verstummten. Gertrud Grueber schnitt zweifingerdick das dunkle Brot auf und verteilte die Scheiben. Schmatzend fuhren die Holzlöffel in die gestockte Milch, fuhren zu den Mündern; die Esser schoben krustiges Brot nach, kauten bedächtig.
    Das Mahl aus der einzigen Tonschüssel lief nach festen Regeln ab: Zuerst tauchte der Vater den Löffel ein, dann sein Weib, es folgte Balthasar, zuletzt kam jeweils Katharina an die Reihe. Dann schabten die plump geschnitzten Löffel auf dem Boden des Tonscherbens. Mit Brotbrocken wurden die letzten Reste der Herbstmilch aufgetunkt. Johann Grueber wischte sich den Mund, dann wurde wieder ein Gebet gesprochen, ehe sein Weib und Katharina das spärliche Geschirr abräumten.
    Als Löffel und Schüssel mit Flußsand gescheuert und ausgespült waren, löschte Johann Grueber den Kienspan über der Feuerstelle, dann suchten die Familienmitglieder ihre Bettstätten auf. Katharina teilte sich mit ihrem Bruder den Platz zwischen Ofen und Katenwand, wo schon Jörg den größten Teil seines Lebens geschlafen hatte. Das Mädchen zog sein Rupfenkleid eng um sich; eine dünne Decke aus Schafwolle mußten Balthasar und sie sich teilen. Auch jetzt, mit vollem Magen und im Rücken des Bruders geborgen, mußte Katharina unentwegt an ihr Erlebnis auf dem Friedhof denken. Sie warf sich hin und her, so daß Balthasar unwillig zu murren begann und selbst dann, als der Schlaf endlich doch sein Recht forderte, fand Katharina keine wirkliche Ruhe.
    Mitternacht war bereits vorbei, als sie so heftig im Schlaf zusammenzuckte, daß Balthasar von dem unbewußten Stoß erwachte. Der Bursche wälzte sich herum und richtete sich dabei auf den einen Ellbogen auf. Sein Gesicht befand sich nun direkt über dem von Katharina, und plötzlich hörte er sie im Traum reden, so deutlich, daß er beinahe jedes Wort verstehen konnte. Und er sah im ungewissen Mondlicht, daß Katharinas Stirn schweißbedeckt war.
    »Ja, Auerin«, flüsterte das Mädchen mit unkontrolliert zuckenden Lippen. »Ich will schon für dich beten. Sollst nicht unerlöst im Fegefeuer flattern müssen wie ein Geier. – Sag mir nur, was ich für dich tun kann. Die arme Seele wird erlöst werden, ich versprech's dir.«
    Hier wurde das Murmeln Katharinas undeutlicher, aber ihr Oberkörper begann sich auf der Strohschütte heftig hin und her zu wiegen.
    Balthasar hatte sich jetzt ganz aufgesetzt, erschrocken starrte er seine kleine Schwester an. Allmählich wurde Katharina wieder ruhiger, jetzt sprach sie erneut ganz deutlich: »Du mußt mir auch helfen, gell, Auerin, wenn ich dich erlöse. Könnten Brot brauchen und Geräuchertes in der armen Katen …«
    Katharina verstummte. Ihr Gesicht nahm einen angespannten Ausdruck an, als horche sie auf etwas, dann seufzte sie tief und sagte: »Ja, Auerin, ich bet' für dich, und du hilfst mir auch weiter … Ja, Auerin, ich bin die einzige, deren Gebet dir hilft, daß die arme Seele aus dem Feuer fährt.« Hier verzerrte sich Katharinas Mädchengesicht plötzlich, wurde scharfzügig, häßlich, uralt. »Die Teufel, ja, ich seh' sie schon!« rief sie gellend. »Die peinigen … und beißen … und reißen die Seel' …«
    Katharina fuhr hoch, fuchtelte wild mit beiden Armen, erwischte Balthasar an den Schultern und krallte sich fest. Der Bruder, mit entsetzten Augen, schüttelte sie derb, bis sie erwachte, und dann flammte auch schon ein Kienspan auf, und die alten Gruebers kamen erschrocken herüber zu der Strohschütte.
    »Was ist los? Bist närrisch geworden?« herrschte Johann Grueber die Tochter an. »Schreist von Teufeln und Seelen, daß es eine Art hat. Was soll das bedeuten?«
    »Sie hat schwer geträumt – es bedeutet gar nichts«, mischte sich die Grueberin ein. Sie strich
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