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Die Hexe soll brennen

Die Hexe soll brennen

Titel: Die Hexe soll brennen
Autoren: Manfred Böckl
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allmählich nieder, bezahlte das Verstummen der Auerin mit einem Schweißausbruch, der den Rupfenumhang zwischen den Schulterblättern, auf der Brust und an den Schenkeln förmlich durchtränkte. Schwankend stand Katharina zuletzt auf, schlug dreimal das Kreuzzeichen über dem Grab der Unerlösten, versprach murmelnd, heiser, wiederzukommen, oft wiederzukommen, um der armen Seele zuletzt aus dem Fegefeuer und zum Frieden zu verhelfen.
    Zitternd vor Kälte im eigenen Schweiß verließ Katharina dann den Friedhof. Die Gräber und die Kirche verschmolzen hinter ihr mit der Dunkelheit, als das schmiedeeiserne Mauertor schnalzend ins Schloß fiel. Aber Katharina hatte noch keine drei Schritte getan, als sie hart am Arm gepackt wurde. Ein Schatten lastete zwischen dem Mädchen und der Friedhofsmauer, schemenhaft, bucklig, zusammengekrümmt. Knochige Finger um den Oberarm Katharinas gekrallt, eine krächzende Stimme: »Treibst dich bei den Toten herum, Dirn? Sollst das nicht tun, nicht bei der Dunkelheit. Ist gefährlich, Dirn! Könnt einer aus seinem Grab auffahren und dich holen!«
    Katharina hatte wie erstarrt im Griff des schemenhaften Wesens gehangen, doch nun erkannte sie die Fremde.
    »Du bist's, Eckhin«, sagte sie, wobei ihre Stimme immer noch leicht flatterte. »Laß mich los! Hab' nichts Unrechtes getan.«
    Elisabeth Eckhin, ein achtundvierzigjähriges Taglöhnerweib, das durch eine verwachsene Schulter verunziert war und deswegen um Jahrzehnte älter wirkte, lachte heiser. »Das erzähl einer anderen. Kein Christenmensch treibt sich in der Dunkelheit bei den Toten herum. Wolltest eine arme Seele verhexen? Hast einen Drudenfuß auf ein frisches Grab gezeichnet, daß die Seel' nicht zum Himmel auffahren kann, eh?«
    »Erlösen muß ich sie!« brach es aus dem Mädchen heraus.
    »Wen mußt erlösen?« Die Eckhin zischte die Frage entsetzt. Speichel sprühte in Katharinas Gesicht.
    Das Mädchen wand sich im Griff der knochigen Finger. Hatte für einen Augenblick das Gefühl, in einen tiefen Abgrund zu stürzen. Doch dann war plötzlich ihr Geltungsbedürfnis stärker als ihre Angst. »Die Auerin ist's«, rief Katharina. »Die arme Seel' kann keine Ruhe finden. Sie hat mir's selbst gesagt. Am Grab, vorhin …«
    »Gott, erbarme dich ihrer! Heilige Mutter Gottes, erbarme dich ihrer!« schrillte die Eckhin. »Komm mit, Dirn, das muß ich ganz genau wissen.« Sie zerrte das Mädchen über den ungepflasterten Dorfplatz bis vor die Schenke, aus deren beiden tunnelartigen Fenstern ein matter Lichtschein ins Freie drang. Dort drehte sie Katharina so, daß ihr Gesicht beleuchtet war, die Backenknochen und Wangen rötlich, doch die Augen blieben im Schatten.
    »Red!« forderte die Eckhin.
    »Ich bin auf den Friedhof gegangen, um für die Toten zu beten«, flüsterte Katharina. »Zuerst beim Jörg, dem Ahn. Dann hab' ich gespürt, daß ich zum Auer-Grab gehen mußte. Ich hab' mich hingekniet. Und dann hab' ich die Stimme der Auerin gehört. Daß sie im Fegfeuer brennen muß, sagte sie. Und daß nur ich sie erlösen kann.«
    »Hast mit einer Toten gesprochen?« keuchte die Eckhin. »Wahrhaftig mit einer Toten? Ich hab's immer gesagt, du bist etwas ganz Besonderes, Dirn. Schon dein Onkel war so, der Jörg.« Die Augen der Verwachsenen blitzten. Es lag eine tiefe Erregung in ihnen, etwas Gieriges, Undefinierbares. »Kannst dein Glück machen, Katharina«, flüsterte sie. »Die Toten offenbaren sich nicht einem jeden. Nur den Auserwählten …«
    »Du darfst es aber keinem sagen«, bat Katharina ängstlich. »Ich hätt's auch dir nicht erzählen sollen, was am Grab der Auerin geschehen ist.«
    »Werd' meinen Mund schon halten«, versicherte die Eckhin und schien es plötzlich eilig zu haben. Sie löste den Griff, mit dem sie immer noch Katharinas Arm umklammert hatte.
    »Lauf jetzt«, sagte sie. »Aber wir reden noch einmal darüber!« Katharina antwortete nicht, drehte sich um und rannte wie gehetzt davon. Sie war verwirrt. Alles, was sie in der letzten Stunde erlebt hatte, erschien ihr nun so unwirklich, als hätte sie es nur geträumt. Es wurde ihr bewußt, wie sehr sie fror, und sie wollte jetzt nur noch nach Hause.
    ***
    Auf dem Tisch in der einzigen Stube der Gruebers schillerte gelblich-weiß in einer flachen Tonschüssel die Herbstmilch, das Armeleuteessen aus gestockter Milch, das im Herbst angesetzt und bis zum Frühjahr immer wieder neu aufgegoren wurde. Daneben lag auf dem gescheuerten Holz ein Laib dunkles Brot,
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