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Die Hexe soll brennen

Die Hexe soll brennen

Titel: Die Hexe soll brennen
Autoren: Manfred Böckl
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Gestürzten. Der hätte ihn in seiner Schwäche gewiß nicht mehr abwehren können, doch dann traf ein derber Knüppel das Vieh, das jaulend floh. Der Bauer beugte sich über den Zerlumpten und hob vorsichtig dessen Kopf an.
    »Kennst du den?« fragte er sein Weib, das zögernd ebenfalls herangekommen war.
    »Heilige Mutter Gottes!« rief die Bäuerin. »Es ist der Jörg Grueber. Man möcht's nicht glauben, was der Krieg anrichten kann mit einem Menschen in einem kleinen Jahr.«
    »Wir müssen ihn zu seinen Leuten bringen«, befahl der Bauer. »Pack an, Alte!«
    In der Kate der Gruebers lebte ein Bruder Jörgs mit seinem Weib und mehreren Kindern. Sie nahmen die Heimkehr Jörgs hin wie ein Wunder, über das man trotzdem nicht viele Worte zu machen brauchte. In der einzigen Wohnstube, zwischen der Herdstelle und der lehmverschmierten Wand, richtete die Grueberin ein Strohlager für den Schwager, dann bekämpfte sie das Fieber des immer noch Besinnungslosen mit Umschlägen aus Ziegenmist und hastig geleierten Gebeten. Der Kranke wand sich in wirren Träumen auf seinem armseligen Lager. Gegen Morgen wurde er ruhiger, schlug die Augen auf und erkannte erstaunt die Verwandten.
    »Du bist daheim, Jörg«, sagte die Schwägerin sanft. Ihr Mann, der ebenfalls gewacht hatte, legte die abgearbeitete Hand auf die bis auf den Knochen abgemagerte Schulter Jörgs.
    »Daheim«, flüsterte dieser mit vom überstandenen Fieber noch krächzender Stimme. »Ich bin daheim – aber die anderen nicht. Die Seelen der Toten nicht, versteht ihr? Die sind nicht daheim und werden auch nie heimkommen.« Er sprach lauter, schrie nun fast: »Die brennen im Fegefeuer, die kommen nicht heraus, die müssen ewig im Feuer brennen. Die Unerlösten …«
    Ein Schwächeanfall übermannte ihn, und er schlief ein, während sich seine Lippen immer noch tonlos bewegten. »Es ist der Krieg«, sagte die Grueberin zu ihrem Mann, »nichts als der verfluchte Krieg. Aber es wird schon wieder werden mit dem Jörg.«
    Sie zog die verschlissene Pferdedecke über dem Leib des Kranken höher, dann ging sie in den Stall hinüber, um die einzige Ziege zu melken.
    »Geb' Gott, daß es gut wird mit dem Bruder«, murmelte der Bauer rauh.
    ***
    Es wurde insofern gut mit Jörg Grueber, als er nach Wochen die Krankheit endgültig überwunden hatte. Doch der Bursche selbst hatte sich verändert. Er wirkte, auch äußerlich, nicht mehr wie ein Neunzehnjähriger, sondern wie einer, der lange vor seiner Zeit gealtert ist. Sein Haar war schon jetzt an vielen Stellen ergraut, seine früher schon hageren Gesichtszüge waren noch schärfer geworden. Körperlich hatte er sich erholt; er tat die harte Kätnerarbeit wie alle anderen auch, aber er war so in sich gekehrt, daß er oft tagelang kein Wort sprach.
    Dann wieder, wenn er etwa im Tagelohn für einen größeren Bauern ackerte, konnte es geschehen, daß er den Pflugsterz fahren ließ, mitten im Acker niederkniete, so wie damals im Wald während der Explosion, und im Tonfall eines Beters zu murmeln begann: »Die unerlösten Seelen – das Fegefeuer – die Seelen alle im Feuer gefangen!«
    Man gewöhnte sich an den Sonderling in dem kleinen Dorf Geisling auf der Donaumarsch, und im Rhythmus von Aussaat und Ernte, von Frühjahrsüberschwemmungen und Trockenheit in den Sommern gingen die Jahre dahin. Als Jörg nach dem Fall der Burg Donaustauf zurückgekehrt war, hatte der Glaubenskrieg bereits im siebzehnten Jahr gestanden. Schon damals war Deutschland verwüstet gewesen, doch das Unheil schleppte sich noch weitere dreizehn Jahre dahin. Um Monate verspätet erreichte im Frühsommer des Jahres 1634 die Nachricht von der Ermordung Wallensteins die Dörfler, ein anderes Mal berichtete ein durchwandernder Hausierer, daß sich nun auch die Franzosen am Krieg beteiligen würden.
    ***
    Im Herbst des Jahres 1640 fand man im Gestrüpp der Donauauen den angeschwemmten Leichnam eines kroatischen Reiters. In seiner Brust klaffte eine brandige Wunde, in der bereits die Maden wimmelten. Die Geislinger verscharrten ihn nach einem kurzen Gebet des Dorfpfarrers an der Friedhofsmauer, und danach hörte man den verrückten Jörg Grueber wochenlang immer wieder von unerlösten Seelen faseln.
    Möglicherweise hatte der ehemalige Musketier das Unheil aber nur vorausgeahnt, denn zehn Tage später brach in dem kleinen Fleck in der Donaumarsch eine Seuche aus, der unter anderem auch die drei Kinder von Jörgs Bruder zum Opfer fielen.
    Die Eltern nahmen
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