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Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber

Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber

Titel: Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber
Autoren: Victoria Janssen
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Bis jetzt hatte er niemals einen Grund gehabt, so weit hinaus aufs Land zu reiten, dorthin, wo Heu gemacht und Niederwild gejagt wurde.
    Er lenkte Tulipe an Guirlandes Seite. “Wohin reiten wir?”
    “Nicht mehr weit”, erwiderte sie. “Ich genieße es, an der frischen Luft zu sein.”
    Der Schnee war bereits fast vollständig geschmolzen, aber das braune Gras raschelte, der Himmel war stahlgrau und die Luft schneidend vor Kälte. Die Hufe der Pferde klangen wie der Stundenschlag einer Uhr auf frostigem Grund. Henri trug eine wattierte Jacke, einen Schal, einen Hut und dünne Lederhandschuhe, aber seine Zehen und seine Fingerspitzen waren nahezu gefühllos vor Kälte. “Die Luft riecht gut”, stellte er fest. Seine Nasenspitze war eisig.
    Er war lieber draußen im Freien als irgendwo sonst. Allerdings dachte er nicht gern an die Zeit zurück, als er mit Händen, die er nur schützen konnte, indem er sie mit Lumpen umwickelte, die Eisschicht auf Wassertrögen zerschlagen und schwere Eimer voller eisigem Wasser schleppen musste. In den Ställen war es wenigstens einigermaßen warm gewesen, und noch wärmer hatte er es gehabt, wenn er bei dem alten Pony Poire in der Box geschlafen hatte, vorausgesetzt Poire war gut gelaunt. Er hatte viele Nächte damit verbracht, sich vorzustellen, wie er seine eigene Hütte heizen würde, sobald er genug Geld gespart hatte, sie zu kaufen. Meistens hatte er sich ausgemalt, er hätte einen Kamin und einen Ofen, und war sogar so weit gegangen, sich Möglichkeiten zu überlegen, im Haus ständig warmes Wasser zu haben, wie in einem Badehaus. Damals erschien das alles unerreichbar, warum sollte er dann nicht so wild träumen, wie er nur konnte? Dennoch war es auf die Dauer entmutigend gewesen, unerfüllbare Träume zu haben. Als er älter geworden war und angefangen hatte, seinen Lohn zu sparen, hatte er sich als Erstes ein Paar warme Wollsocken gekauft.
    Über den Fluss spannte sich tatsächlich eine schmale Brücke, ein hübscher Bogen mit einem Geländer, das vom vielen Gebrauch glänzte. Die Hufe der Pferde hallten auf den Holzplanken wider, als sie einer nach dem anderen die Brücke überquerten. Henri schaute über das Geländer und sah das Wasser langsam dahinfließen, an manchen Stellen noch unter einer dünnen Eisschicht.
    Das mit Raureif bedeckte Gras am anderen Ufer wirkte fast wie blühende Blumen. Er brachte Tulipe zum Stehen, winkte Camille und deutete auf den Boden. Sie schaute mit suchendem Blick nach unten. “Kaninchenlöcher?”, fragte sie nach einem Augenblick.
    “Es ist einfach schön”, erklärte Henri. “Sieh nur, dort drüben. Neben dem Felsen.”
    “Da
ist
ein Kaninchenloch”, stellte sie fest und fügte geistesabwesend hinzu: “Pass auf Tulipes Beine auf.” Sie lehnte sich im Sattel nach vorn und spähte nach unten. Henri rutschte unruhig auf dem Pferderücken herum. Sie bemühte sich offensichtlich, etwas Passendes zu finden, was sie sagen konnte. Manchmal wurden die Unterschiede zwischen ihnen so unerwartet deutlich, wie Schäfchenwolken an einem klaren Sommertag am Himmel auftauchen konnten.
    Nach einiger Zeit sagte Camille: “Das Gras ist an einigen Stellen heruntergedrückt, und durch den Raureif sehen die Büschel aus wie Astern. Oder vielleicht auch wie Ringelblumen.”
    “So etwas habe ich noch nie gesehen”, stellte Henri fest.
    “Ich auch nicht.” Camille wandte sich zu ihm um. “Es ist wunderschön. Komm. Es ist nicht mehr weit.”
    “Haben wir ein bestimmtes Ziel?” Er hatte geglaubt, sie würden einfach nur einen Ausritt unternehmen. Nun hoffte er, dass es nicht um eine politische Angelegenheit ging. Sie arbeitete im Palast schon genug, manchmal sogar vom Kinderzimmer aus. Glücklicherweise hatte Aimée ihn und einen ganzen Schwarm Ammen, um sie zu hätscheln und zu unterhalten. Camille ging noch liebevoller mit ihrer kleinen Tochter um, als er es vorausgesehen hatte, wurde aber viel zu oft von ihren Regierungsgeschäften in Anspruch genommen. Henri hatte es sich ganz im Geheimen zur Aufgabe gemacht, sie jeden Tag wenigstens auf eines der schönen Dinge im Leben aufmerksam zu machen, es aber nicht so offensichtlich zu tun, dass sie es als Kritik empfinden könnte. Schließlich liebte und bewunderte er ihre Fähigkeit zu führen und zu regieren.
    Camille antwortete nicht, und er nahm an, dass sie ihn nicht gehört hatte. Er brachte Tulipe wieder an Guirlandes Seite und ritt schweigend weiter. Solange er den Tropfen nicht beachtete,
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