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Die Herrin von Avalon

Die Herrin von Avalon

Titel: Die Herrin von Avalon
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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färbte sich der Himmel leuchtend rosa, der Dunst über dem Wasser war bereits kühl und schimmerte silbern. Der Tor war kaum noch zu sehen.
    Es scheint, als hätte ihn ein Zauber der Welt der Sterblichen entrückt ...
    Caillean erinnerte sich unwillkürlich an den anderen Namen von Avalon: Inis Vitrin - Die gläserne Insel.
    Hier werde ich von nun an leben und nur noch der Göttin dienen ...
    Der Gedanke gefiel ihr, denn nach all dem Geschehenen war sie bereit, die Welt und die Menschen für immer hinter sich zu lassen, die Vernemeton, das Heiligtum der Göttin in den Wäldern von Albion, zerstört hatten.
    Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie holte aus dem Beutel eine Knochenpfeife. Ihr Ton klang dünn und schrill, aber nicht laut. Trotzdem hallte er weit über das Wasser.
    Gawen zuckte zusammen; Caillean nickte und deutete hinüber. Das Schilf am anderen Ufer wurde von zahllosen gewundenen Wasserwegen durchschnitten. Auf einem erschien ein breites, niedriges Boot und erreichte bald das offene Wasser. Gawen runzelte die Stirn, denn das Boot glitt wie von unsichtbaren Kräften gelenkt auf sie zu. Dabei war der Mann mit der Ruderstange, der dieses Kunststück vollbrachte, nicht größer als er. Gawen konnte den Blick nicht von dem Boot wenden. Erst beim Näherkommen entdeckte er in dem verwitterten Gesicht die vielen Falten und die weißen Fäden im schwarzen Haar. Als der Mann die Priesterin sah, verneigte er sich und stieß das Boot mit der langen Stange auf das flache Ufer.
    »Das ist der Fährmann«, sagte Caillean leise. »Seine Sippe lebte hier, bevor die Römer kamen, sogar schon bevor die Britonen die Insel kannten. Niemand von uns spricht ihre Sprache, und er hat mir gesagt, daß ihn sein Name als einen Fährmann ausweist. Das kleine Volk hat in den Sümpfen nur wenig zum Leben. Sie sind für die zusätzlichen Nahrungsmittel froh, die sie von uns erhalten. Außerdem geben wir ihnen von unseren Heilkräutern, wenn sie krank sind.«
    Gawen setzte sich mit gesenktem Kopf ans Heck des Boots. Er hielt eine Hand ins Wasser und sah den Wellen nach, die dem Ufer zustrebten, während der Fährmann abstieß und mit ihnen in Richtung Avalon fuhr. Caillean bemerkte Gawens Wehmut mit einem stummen Seufzen, aber sie unternahm nichts, um ihn aufzuheitern. In Albion waren sie beide von der Grausamkeit des Schicksals berührt worden. Gawen schien das ganze Ausmaß der Tragödie noch nicht zu erfassen. Das war auch besser so, denn er hätte es nicht verkraften können.
    Caillean hüllte sich fester in ihren Umhang und blickte auf den steil aufragenden Tor. Sie preßte die Lippen aufeinander, und ihre Augen wurden hart.
    Ich kann ihm nicht helfen. Er muß den Schmerz und die Unsicherheit ebenso ertragen wie ich ...
    Nebelschleier senkten sich auf sie herab, aber sie lösten sich wie von Zauberhand wieder auf, als sich das Boot dem Ufer näherte. Vom hohen Tor hörten sie den weithin hallenden dumpfen Klang eines Horns. Der Fährmann stieß die Stange mit geübter Sicherheit auf den flachen Grund, und der Boden des Boots schob sich knirschend über die Kieselsteine. Dann sprang der kleine Mann flink ins seichte Wasser und zog das Boot ans Ufer. Als es sich nicht mehr bewegte, stieg Caillean an Land.
    Ein halbes Dutzend Mädchen kam eilig den Weg herunter. Ihre Haare waren zu langen Zöpfen geflochten, die ihnen über den Rücken fielen. Sie trugen ungefärbte Leinengewänder mit einer grünen Kordel um die Hüfte. Als sie die Hohepriesterin erreichten, blieben sie ehrfurchtsvoll stehen.
    Marged, die Älteste, verneigte sich. »Willkommen, Herrin von Avalon. Wir freuen uns, daß du wieder bei uns bist.« Beim Anblick des fremden Jungen verstummte sie überrascht.
    Caillean konnte die unausgesprochene Frage beinahe hören und kam ihr zuvor. »Marged, das ist Gawen. Er wird bei uns bleiben. Du kannst ihn zu Eilned bringen. Sie soll dafür sorgen, daß er für heute nacht ein Lager bekommt.«
    »Gerne, Herrin«, antwortete sie tonlos und starrte Gawen, der vor Verlegenheit rot wurde, mit großen Augen an. Caillean seufzte. Wenn bereits der Anblick eines Halbwüchsigen - es wäre ihr wirklich nicht in den Sinn gekommen, in Gawen bereits einen jungen Mann zu sehen - auf ihre jungen Zöglinge solche Wirkung hatte, dann würde es noch lange dauern, bis ihre Bemühungen Erfolg zeigten und die Mädchen die römischen Vorurteile ablegten, die sie aus Albion mitgebracht hatten. Seine Anwesenheit würde ihnen nicht schaden
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