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Die Herrin von Avalon

Die Herrin von Avalon

Titel: Die Herrin von Avalon
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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...
    Hinter den Novizinnen stand noch jemand. Im ersten Augenblick dachte Caillean, eine der älteren Priesterinnen, vielleicht Eilned oder Riannon, sei zu ihrer Begrüßung erschienen, aber diese Frau war auffallend zierlich und hatte glänzende, dunkle Haare. Die Unbekannte ging an den Mädchen vorbei und trat auf sie zu.
    Caillean schloß verblüfft einen Atemzug lang die Augen.
    Eine Fremde?
    Als sie die Augen wieder öffnete, stellte sie staunend fest, daß ihr die Frau seltsam vertraut vorkam, als seien sie alte Bekannte. Aber sie konnte sich nicht daran erinnern, ihr schon einmal begegnet zu sein.
    Die Fremde sah Caillean nicht an, sondern richtete die dunklen, klaren Augen auf Gawen. Caillean hatte plötzlich den Eindruck, die Frau sei keineswegs klein. Die Unbekannte wirkte sogar größer als sie selbst. Die schwarzen langen Haare hatte sie in der Art der Priesterinnen zu einem Zopf geflochten, aber sie trug ein Gewand aus Rehhäuten und auf dem Kopf einen schmalen Kranz aus dünnen Zweigen mit roten Beeren.
    Ohne den Blick von Gawen zu wenden, machte sie einen Schritt auf ihn zu und verneigte sich tief vor ihm.
    »Sohn der hundert Könige«, sagte sie mit dunkler Stimme, »sei willkommen bei uns und auf Avalon!«
    Gawen wurde vor Verlegenheit rot. Caillean räusperte sich und suchte verwirrt nach Worten.
    »Wer bist du und was willst du von mir?« fragte sie schließlich, und es klang fast unhöflich.
    »Von dir will ich nichts«, erwiderte die Frau ebenso kurz angebunden. »Du brauchst auch meinen Namen nicht zu wissen. Ich bin wegen Gawen gekommen. Aber du kennst mich schon lange, kleine, aus dem Nest gefallene Amsel, obwohl du dich nicht an mich erinnerst.«
    ›Amsel‹ ... in der Sprache von Eriu Lon-dubh .
    Beim Klang des Namens ihrer Kindheit wurde auch sie verlegen und unsicher. Seit über vierzig Jahren hatte sie nicht mehr an diesen Namen gedacht, denn die Weihe zur Priesterin hatte alles ausgelöscht, was sie an das bedrückende Leben davor erinnerte.
    Aber der Name war wie ein Schlüssel zur dunklen Kammer ihres Herzens. Schlagartig wurde das schrecklichste Erlebnis ihrer Kindheit, die brutale Vergewaltigung, wieder lebendig - stechende Schmerzen zwischen den Beinen und, noch schlimmer, das Gefühl der Schande und die hilflose Ohnmacht, entehrt zu sein. Der Mann, der sie entjungferte, hatte ihr mit dem Tod gedroht, wenn sie verraten würde, was mit ihr geschehen war. Damals glaubte sie, nur das Meer werde sie von dem Frevel reinigen können. Sie war in ihrer Verzweiflung durch das Dornengestrüpp zu den Klippen gerannt und wollte sich mit einem Sprung in die Wellen stürzen, die tief unter ihr die Felsen umtosten.
    Aber plötzlich war lautlos wie ein Schatten zwischen den dornigen Ranken eine Frau aufgetaucht. Die Unbekannte war kaum größer als sie, aber viel älter. Die Frau hatte sie tröstend in die Arme genommen, sie fest an sich gedrückt, ihr beruhigende Worte ins Ohr geflüstert und ihr soviel Zärtlichkeit und Anteilnahme erwiesen, wie ihre Mutter es nie getan hatte. Mit ihrem Kindernamen Lon-dubh , aus dem sie ein Lied von dem kleinen Vogel machte, der aus dem Nest gefallen ist, wiegte die Fremde sie schließlich in den Schlaf des Vergessens. Als sie erwachte, war ihr Leib wie befreit von der Schmach, und die Schmerzen zwischen den Beinen waren nur noch eine ferne Erinnerung.
    Das Geschehene schien wie ein Alptraum mit dem Erwachen schlagartig überwunden. Aber die seltsame Frau, die aus den dunklen Schatten der Dornen gekommen war, war verschwunden.
    Erst viele Jahre später war es Caillean mit dem Wissen der Druiden gelungen, der geheimnisvollen Frau, die sie gerettet hatte, einen Namen zu geben ...
    Die Fee ließ Gawen nicht aus den Augen. »Ich werde dir helfen, dein Schicksal zu erfüllen. Warte am Ufer auf mich, und eines Tages werde ich zu dir kommen.« Sie verneigte sich noch einmal, aber diesmal nicht so tief. Im nächsten Augenblick war sie verschwunden, als sei sie überhaupt nicht dagewesen.
    Caillean schloß die Augen. Ihre spontane Entscheidung, Gawen nach Avalon zu bringen, war demnach richtig gewesen. Wenn die Fee ihn in aller Form bei seiner Ankunft auf der Insel begrüßte, dann mußte hier etwas Besonderes auf ihn warten. Caillean erinnerte sich daran, daß Eilan in einer ihrer Visionen dem Merlin begegnet war. Was hatte er ihr prophezeit?
    Der Vater des Jungen wird als Jahres-König sterben, um sein Volk zu retten ...
    Was hatte der Merlin damit sagen wollen? War
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