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Die Hassliste: Roman (German Edition)

Die Hassliste: Roman (German Edition)

Titel: Die Hassliste: Roman (German Edition)
Autoren: Jennifer Brown
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Medaille reden.
    Ich weiß, dass Mom die Medaille und den Dankesbrief später in einer Schachtel mit Andenken verstaut hat, zusammen mit allem möglichen Krimskrams, den sie überdie Jahre gesammelt hat. Bilder, die ich in meiner Kindergartenzeit gemalt habe, Zeugnisse aus der Mittelstufe und dazu eben einen Brief, in dem sich die Schule dafür bedankt, dass ich einen Amoklauf beendet habe. Für Mom passt das alles irgendwie zusammen.
    Auf diese Art demonstriert sie, dass sie weiter störrisch an ihrer großen Hoffnung festhält, dass mit mir eines Tages wieder alles »bestens« sein wird, auch wenn sie sich garantiert nicht dran erinnern kann, wann mit mir zuletzt irgendwas »bestens« gewesen ist. Ich weiß das übrigens auch nicht. Vor dem Amoklauf? Bevor Jeremy in Nicks Leben aufgetaucht ist? Bevor Mom und Dad damit angefangen haben, sich zu hassen? Bevor ich mich auf die Suche machte nach jemandem, der mich vergessen ließ, wie unglücklich ich war? Oder müsste ich zurückgehen bis in die Zeit, als ich noch eine Zahnspange und Pullis in Pastellfarben trug, Musik aus den Charts hörte und mir einbildete, das Leben wäre ganz einfach?
    Wieder klingelte mein Wecker. Ich tastete nach ihm und schubste ihn dabei versehentlich auf den Boden.
    »Valerie, jetzt mach schon!«, rief meine Mutter. Wahrscheinlich hielt sie das schnurlose Telefon in der Hand, um im Fall der Fälle blitzschnell die Notrufnummer zu wählen. »In einer Stunde fängt die Schule an. Jetzt steh endlich auf!«
    Ich krümmte mich um mein Kissen und starrte die Pferde auf meiner Tapete an. Als kleines Kind habe ich mich, wenn alles schiefging, immer aufs Bett gelegt und mir ausgemalt, auf eins dieser Pferde zu springen und wegzureiten. Einfach nur zu reiten, immer weiter weg, mit wehenden Haaren, auf einem Pferd, das nie müdewurde und auch nie Hunger bekam, unterwegs in eine Ferne, wo uns keine Menschenseele begegnete. Wo vor mir ein Land unendlicher Möglichkeiten lag, das sich bis ans Ende der Welt erstreckte.
    Jetzt waren diese Pferde nur noch ein albernes Motiv auf einer Kindertapete. Sie trugen mich nirgendwohin. Sie konnten es nicht. Inzwischen war mir klar, dass sie das nie gekonnt hatten, und das fand ich furchtbar traurig. Es kam mir vor, als wäre mein ganzes Leben ein einziger großer, dummer Traum gewesen.
    Ich hörte ein Geräusch an der Tür und stöhnte auf. Natürlich – der Schlüssel! Dr.   Hieler, der sonst meistens auf meiner Seite war, hatte Mom erlaubt, einen Schlüssel zu benutzen und in mein Zimmer zu kommen, wann immer sie es nötig fand.
Für alle Fälle. Nur als Vorsichtsmaßnahme natürlich. Immerhin steht das Selbstmordthema im Raum, stimmt’s?
Von da an kam sie einfach in mein Zimmer, wenn ich auf ihr Klopfen nicht reagierte, mit dem Telefon in der Hand für den Fall, dass ich in einem Meer von Blut und Rasierklingen auf meinem Gänseblümchenteppich lag.
    Ich sah zu, wie sich der Türknauf bewegte. Ich konnte nichts tun, als ihn von meinem Kissen aus anzuglotzen. Mom schob sich ins Zimmer. Ich hatte recht gehabt, sie hielt wirklich das Telefon in der Hand.
    »Gut, du bist ja wach«, sagte sie mit einem Lächeln, eilte geschäftig zum Fenster und zog die Jalousien hoch. Ich blinzelte ins frühmorgendliche Sonnenlicht.
    »Du hast ein Kostüm an«, stellte ich fest und legte mir den Arm über die Augen.
    Mit der freien Hand griff sie nach unten und strichihren kamelfarbenen Rock um die Oberschenkel herum glatt. Sie wirkte, als hätte sie sich zum allerersten Mal so schick angezogen. Einen Moment lang kam sie mir genauso unsicher vor, wie ich mich fühlte, und das machte mich traurig.
    »Ja«, antwortete sie und tastete nach den Haaren in ihrem Nacken. »Ich hab mir gedacht, wenn du jetzt wieder in die Schule gehst, könnte ich doch, na ja, du weißt schon, mal ausprobieren, ob ich nicht wieder Vollzeit arbeiten kann.«
    Ich rappelte mich hoch. Mein Kopf fühlte sich vom langen Liegen wie platt gedrückt an und in meinem Bein ziepte es ein bisschen. Unter der Bettdecke fingerte ich abwesend an der Delle in meinem Oberschenkel. »Gleich an meinem ersten Tag?«
    Sie stakste in ihren kamelfarbenen High Heels zu mir herüber und musste dabei einen großen Schritt über einen Berg Schmutzwäsche machen. »Na ja   … Ja. Das zieht sich jetzt ja schon seit Monaten hin. Dr.   Hieler findet es völlig in Ordnung, dass ich wieder richtig arbeiten gehe. Und ich bin früh genug fertig, um dich nach der Schule abzuholen.« Sie
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