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Die Hassliste: Roman (German Edition)

Die Hassliste: Roman (German Edition)

Titel: Die Hassliste: Roman (German Edition)
Autoren: Jennifer Brown
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und dass es mir eine Ehre war, das menschliche Schutzschild für die rundum perfekte Jessica Campbell zu spielen. Vielleicht hat er auch eine Entschuldigung erwartet. Ich hätte mich sogar entschuldigt, wenn ich bloß gewusst hätte, wie. Aber ich fand keine Worte, die groß genug waren für etwas so Schwieriges.
    Also drehte ich, während Mr Angerson in unserer Küche saß und auf mich wartete, nur meine Musik lauter, verkroch mich in mein Bett und ließ ihn unten sitzen. Ich kam die ganze Zeit über nicht raus, auch nicht, als meine Mutter gegen die Tür zu hämmern begann und mich drängte, doch wenigstens aus Höflichkeit herunterzukommen.
    »Valerie, bitte«, zischelte sie, nachdem sie die Tür einen Spaltbreit geöffnet und ihren Kopf hereingestreckt hatte.
    Statt ihr eine Antwort zu geben, zog ich mir nur die Bettdecke über den Kopf. Dabei war es nicht mal so, dass ich nicht runterkommen
wollte
– ich
konnte
einfach nicht. Aber das würde Mom nicht begreifen. Sie war der Meinung, ich müsste mich umso weniger schuldig fühlen, je mehr Leute bereit waren, mir zu »verzeihen«. Für mich war es allerdings genau umgekehrt.
    Nach einer Weile spiegelten sich Autoscheinwerfer in der Fensterscheibe von meinem Zimmer. Ich setzte mich auf und blickte in die Einfahrt hinunter. Mr Angerson fuhr gerade weg. Ein paar Minuten später klopfte Mom an meine Tür.
    »Was ist?«, fragte ich.
    Sie öffnete die Tür und kam rein. Sie wirkte wie einkleines Reh, schüchtern und verzagt. Ihr Gesicht war rot und fleckig und ihre Nase verstopft. In der Hand hielt sie diese dämliche Medaille und dazu einen Dankesbrief von der Schulbehörde.
    »Sie werfen dir nichts vor«, sagte sie. »Sie wollen, dass du das weißt. Sie möchten, dass du zurückkommst. Sie wissen zu würdigen, was du getan hast.« Sie drückte mir die Medaille und den Brief in die Hände. Ich warf einen flüchtigen Blick darauf und sah, dass nur etwa zehn Lehrer unterschrieben hatten. Mr Kline war nicht dabei, natürlich nicht. Wohl zum millionsten Mal seit jenem Tag fuhr mir der gewaltige Schmerz meiner Schuld durch den Körper. Kline war genau der Typ von Lehrer, der so einen Brief unterschreiben würde. Aber er konnte ihn nicht unterschreiben, weil er tot war.
    Einen Moment lang hatten Mom und ich uns nur angestarrt. Ich wusste, sie hätte gern irgendein Zeichen von Dankbarkeit in meinem Gesicht gefunden. Wenn die Schule nach allem, was passiert war, weitermachen konnte, könnte ich das vielleicht auch, fand sie. Und dann könnten wir alle endlich weitermachen mit unserem Leben.
    »Na ja, Mom«, hatte ich gesagt und ihr die Medaille und den Brief zurückgegeben. »Das   … das ist echt super.« Ich bemühte mich ernsthaft, ein Lächeln aufzusetzen, damit sie sich besser fühlte, merkte aber selbst, dass es mir misslang. Was, wenn ich noch nicht weitermachen
wollte
mit meinem Leben? Was, wenn mich diese Medaille nur daran erinnerte, dass ausgerechnet der Junge, dem ich vertraut hatte wie sonst keinem auf der Welt, Leute umgebracht, auf mich geschossen und sichdann selbst getötet hatte? Warum kapierte sie nicht, dass es mir zu sehr wehtat, den Dank der Schule anzunehmen? War denn Dankbarkeit das einzig mögliche Gefühl in meiner Lage? Ich sollte dankbar sein, dass ich überlebt hatte. Dass man mir verzieh. Dass man meinen Einsatz für das Leben meiner Mitschüler anerkannte.
    Doch in Wahrheit fühlte ich mich kein bisschen dankbar, egal wie sehr ich es versuchte. Meistens bekam ich überhaupt nicht zu fassen, wie ich mich fühlte. Mal war ich traurig, mal erleichtert, mal durcheinander, mal fühlte ich mich missverstanden. Ziemlich oft war ich wütend. Noch schlimmer wurde meine Wut dadurch, dass ich nicht wusste, auf wen ich am wütendsten war: auf mich, auf Nick, auf meine Eltern, auf die Schule, auf die ganze Welt. Die schrecklichste Wut von allen war die Wut auf diejenigen, die gestorben waren.
    »Val«, hatte meine Mutter gesagt und mich flehentlich angeschaut.
    »Echt«, hatte ich geantwortet. »Ist doch toll. Ich bin bloß müde, Mom, wirklich. Mein Bein   …«
    Ich drückte den Kopf noch tiefer in mein Kissen und zog unter der Decke die Beine dicht an meinen Körper.
    Mit hängendem Kopf und zusammengesunkenen Schultern verließ Mom das Zimmer. Mir war klar, dass sie Dr.   Hieler auf meine »fehlende Reaktion« ansetzen würde. Ich sah ihn schon beim nächsten Termin in seinem Sessel sitzen und sagen:
Tja, Val, wir sollten wohl mal über diese
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