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Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen
Autoren: Silke Scheuermann
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Benno stand wieder vor Luisa. Er war angeschrien worden, und er war ein empfindsamer Hund. Luisa wusste wieder einmal, warum sie ihn so gern hatte. Er war es, der jede ihrer Stimmungen als erster wahrnahm. Sie umarmte ihn und drückte ihm einen Kuss an das feuchte Schlappohr. Er stank immer noch. Sie riss sich zusammen und rief laut: »Ich bin mit Benno noch nicht fertig – setzt euch schon mal in die Küche.« Und nach kurzem Nachdenken fügte sie hinzu: »Anne kann herkommen und zugucken.«
    Der Gedanke war ihr soeben gekommen: dass es vielleicht lustig wäre, Anne auf so eine unkomplizierte Art kennenzulernen, sie beide nass gespritzt vom Hundebaden, lachend über die Wanne gebeugt. Ein Interieur, intim, ein wenig kitschig, ganz wie von Degas gemalt.
    Sie hörte Trippelschritte, und dann schob sich ihre Nichte herein.
    »Hallo, Tante Luisa.«
    Anne war mager und ziemlich farblos, wie blonde Kinder es häufig sind. Sie hatte eine Zahnspange und trug außerdem eine Haarklammer aus braunem Plastik und Ohrringe, an denen kleine Sterne baumelten. An ihrem Jeansrock waren Hosenträger angebracht, und auf Luisa machte dies zusammen den Eindruck eines hilflosen Kindes, das von allen Seiten her zusammengehalten und befestigt werden musste. Sie winkte sie heran, aber Anne blieb schüchtern im Türrahmen stehen und betrachtete den Hund.
    »Das ist Benno«, sagte Luisa überflüssigerweise. »Ich bade ihn gerade. Kommst du mal her? Du kannst mir mit dem Shampoo helfen.«
    Sie fühlte sich sicher, sie war hier, in ihrem Badezimmer und ihrem Leben. Sie hatte alles im Griff.
    »Lieber nicht«, sagte Anne. »Es riecht hier drinnen so komisch. Und ich finde ihn gar nicht hübsch.« Sie deutete auf Benno.
    Luisa blieb die Spucke weg. Sie folgte Annes Blick und sah den Hund an. Natürlich – sie hatte recht, Benno war wirklich kein besonders schöner Hund. Inmitten der Prachtexemplare am Kuhlmühlgraben war er immer die Ausnahme gewesen. Luisa hatte das gleich zu Anfang gemerkt, als sie den Welpen von der Bekannten einer Bekannten bekommen hatten, und hatte geklagt, dass der Kleine zwar süß sei, aber nicht hübsch, und er nicht zu dem Hund heranwachsen würde, den sie gewollt hatte. Aber inzwischen war das längst vergessen. Sie sah nur noch die treuen, schwarzen Knopfaugen und die perfekte schwarze Nase auf der breiten gelben Schnauze. Jetzt betrachtete sie ihn seit langem wieder einmal mit fremden Augen.
    So sah er eher aus wie das Produkt eines Kinderspiels, bei dem der eine den Kopf zeichnet, dann das Blatt faltet, der nächste blind den Rumpf ergänzt, der dritte die Beine und so weiter.
    Nein, er war nicht besonders hübsch, aber dafür war er liebenswert. Was man von diesem Gör ja wohl nicht behaupten konnte.
    Luisa blickte das Mädchen in einem so deutlichen Anfall von Wut an, dass es im Türrahmen einen Schritt zurück trat. Aber Luisa konnte sich beherrschen und unterdrückte eine schneidende Bemerkung. Anne zog eine unsichere Grimasse; sie schien zu warten, bis sie wieder gehen, endlich dieses nasse, nach Tier stinkende Bad wieder verlassen durfte. Als ob sie hier irgendwie im falschen Film gelandet wäre, dachte Luisa. Ich werde dich nicht erlösen. Schweigend bearbeitete sie den Hund weiter und machte dann die Brause an.
    »Anne! Tante Luisa hat Kuchen da, willst du ein Stück?«, hörte sie von draußen ihre Schwester, und Annes Trippelschritte entfernten sich.
    Als sie in die Küche kam, saß das Mädchen auf einem Kissen auf dem Küchenstuhl wie die Prinzessin auf der Erbse und aß geziert mit der kleinen Gabel ein Stück Obstkuchen. Jetzt sah sie aus wie eine richtige kleine Streberin. Luisa suchte Christophers Blick, aber der war zu vertieft in ein Gespräch mit Raimund über die Schönheit Andalusiens. Luisa war überrascht, wie zierlich Raimund wirkte, das war eigentlich überhaupt nicht Ines’ Typ. Womöglich war es auch ein Ratschlag ihrer Therapeutin gewesen, in ihrem Liebesleben einmal eine Abwechslung zu wagen.
    »Habt ihr genug Kaffee?«, fragte Luisa in die Runde. Sie war noch immer so aufgewühlt von der brutalen, unpassenden Ehrlichkeit des Mädchens, dass sie sich lieber beschäftigen wollte, bis diese Stimmung verraucht war.
    Ines stand auf und umarmte sie, sie roch nach einem herben Parfum: »Jetzt entspann dich mal, Lulu«, sagte sie gönnerhaft, was Luisa innerlich zum Kochen brachte – sowohl der alte Spitzname als auch der nie ausbleibende Hinweis darauf, dass sie angestrengt wirkte.
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