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Die Häuser der anderen

Die Häuser der anderen

Titel: Die Häuser der anderen
Autoren: Silke Scheuermann
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setzen, sie stellte es sich vor wie Monets Frühstück im Grünen. Bei Claude Monet war alles heiter und romantisch; die Ausflügler gruppierten sich locker um die üppig mit Wein, Früchten und einem Brathuhn dekorierte Picknickdecke, die beiden Frauen trugen helle weite Sachen, die das Licht, das durch die Bäume fiel, auffingen und reflektierten. Ursprünglich hatte der Maler ein Riesenbild schaffen wollen, zwölf Personen; das Vorbild für die Natur war der Wald von Fontainebleau gewesen. Das Licht flirrte in den Birken, und über der ganzen Szenerie lag ein Glanz, als spielte eine Blaskapelle. Luisa hatte sich immer vorgestellt, dass dieses Picknick an einem Sonntag stattfinden müsste, und sie fand den Gedanken charmant, dass es zu all dem, was es als Kunstwerk darstellte, auch noch die appetitliche Aufforderung war, sich selbst zum Essen ins Freie zu begeben. Luisa hatte eine praktische Ader und liebte es, Dinge umzusetzen. Eines ihrer Lieblingswörter war deshalb »effizient«, und obwohl es ein wenig technisch war, bezog sie es gern auf sich selbst. Möglicherweise, überlegte sie sich manchmal, bin ich aber im Grunde meines Wesens faul und nur deshalb so effizient. Aber es kam, so gesehen, eigentlich auf das Gleiche heraus, denn wenn es so war, verbarg sie ihre Faulheit durch permanente rastlose Tätigkeit ganz gut. Für das Picknick hatte sie einen Platz auf einer kleinen Lichtung im Sinn, die von Birken gesäumt war.
    Als sie zurückkamen, hatte die Stimmung sich verändert. Alle Türen waren aufgerissen, es roch nach Toast, und aus Christophers Zimmer dröhnte laute Musik. Er kam halb angezogen im T-Shirt, die Hose in der Hand, in den Flur, um sie und Benno zu begrüßen.
    »Ihr wart ganz schön lange weg.«
    »Ja?«
    »Ines hat angerufen, sie sind schon in einer halben Stunde da«, sagte er und stieg in ein Hosenbein. »Meine Güte, wieso stinkt Benno so?«
    »In einer halben Stunde schon?«
    »Sie hat den Hin- und den Rückflug verwechselt – was die Zeit angeht. Er stinkt wirklich erbärmlich.«
    »Er hat sich in irgendwas gewälzt«, sagte Luisa, verärgert über ihre Schwester. Sie konnte es nicht leiden, wenn sie sich einen Plan für den Tag zurechtgelegt hatte, und dann hielt sich jemand nicht an die Absprachen und zerstörte alles. Sie traute Ines zu, dass sie das mit Absicht gemacht hatte.
    »So was wie Entenscheiße?«
    Benno machte Anstalten, sich im Schlafzimmer auf das ungemachte warme Bett zu werfen, aber Christopher hielt ihn fest.
    »Ich brause ihn mal ab«, sagte Luisa und übernahm es, den Hund, der nichts Gutes ahnte, am Halsband ins Bad zu ziehen. Als sie ihn gerade nass gemacht hatte und sein spezielles Shampoo auftragen wollte, klingelte es. Das war keine halbe Stunde, dachte Luisa gereizt, sie muss gleich angerufen haben, nachdem ich raus bin. Warum in Dreiteufelsnamen hat Christopher das nicht gesagt? Sie hörte Stimmen im Flur, das helle, spöttische Lachen ihrer Schwester. Sie sah an sich herunter, sie war immer noch in der alten Jeans und dem T-Shirt, in dem sie auch geschlafen hatte – abgesehen davon, waren die Sachen ziemlich nass, genau wie der Hund, der sich jetzt um keinen Preis der Welt mehr in der Badewanne aufhalten, sondern die Gäste begrüßen wollte. Sie gab es auf, stellte das Shampoo weg, hievte Benno aus der Wanne. Sie warf rasch ein altes Handtuch über ihn, in der Hoffnung, ihn wenigstens noch abtrocknen zu können, aber er galoppierte davon wie ein gesatteltes Pferd. Vom Flur her hörte sie Ines kreischen: »Niiiiicht! Ben-no!«
    »Ben-no! Du sollst nicht hochspringen, du dummes Vieh«, schimpfte Christopher.
    Luisa stand im Badezimmer plötzlich still; sie hörte alles, sie gehörte dazu. Aber sie war trotzdem nicht da. Es war einer dieser Momente. Unbeweglich stand sie da; die Zeit war eingefroren. Luisa spürte unglaublich intensiv, dass sie existierte und dass dies etwas war, das sie glücklich machte. Diese Momente waren selten und kostbar, sie kamen, wann sie wollten. Luisa sah eine Frau im beschlagenen Spiegel, ein Gesicht, ein blasses Dreieck, und sagte sich: Das ist das Leben, halt es fest. Wie sie jetzt, kurz bevor sie ihre Schwester, deren Tochter und Freund sah, kurz bevor sie zu ihnen in die Küche gehen und sich setzen und plaudern würde, hier im Badezimmer stand und atmete und nass war und dastand und all diese Dinge empfand, so stark, dass sie fast platzte.
    Die Badezimmertür wurde von einer breiten gelblichen Schnauze aufgeschoben, und
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