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Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition)
Autoren: Katharina Hacker
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Gedanken, er könne sich für Restitutionsfragen interessieren, weil sein Vater beinahe einem solchen Vorgang ausgesetzt worden wäre, drängte er beiseite. Zu seiner Liebe zu Isabelle gehörte das Zufällige ihrer Begegnung unbedingt dazu. Andererseits mußte sie in gewisser Weise ihm restituiert werden: Er hatte lange genug darauf gewartet, und wie man es drehte und wendete, dieses Warten selbst war ein Anspruch. Jakob war beileibe kein Materialist, er mißtraute nur allem, was mysteriös schien, und er mochte keine verborgenen Handlungsmotive, keine Veränderungen, die nicht sichtbar wurden. Mit Grundstücken und Häusern beschäftigte er sich gerne. Er war gerne durch Brandenburg gefahren, es erinnerte ihn an eine Zeit, die er nicht kannte, als würde seiner Erinnerung etwas hinzugefügt über den Käfig seines Lebens hinaus. Die mißliebige Kausalität ließ sich nicht durchbrechen, aber etwas kreuzte sich, eine Zeitachse mit einer zweiten, empfand er auf seiner Fahrt durch die Dörfer, auf dem Weg zu irgendeinem Grundbuchamt, wo er Auszüge, Besitzwechsel einsehen sollte. Nach dem Krieg, als seine Mutter aus Pommern durch Brandenburg gekommen war, mußte es ungefähr so ausgesehen haben. Gepflasterte Straßen, die durch verloren schlafende Dörfer führten, in denen die Fenster fest geschlossen waren, damit keiner eindrang. In den Gesichtern derer, mit denen er sprach, Gier und Angst. Etwas Untertäniges, manchmal mit Hoffnung, manchmal mit Haß gemischt. Selten Ergebenheit. Oft schienen die Gesichter entrückt, die Augen wie überwachsen von den Ablagerungen der Geschichte, die er, Blatt für Blatt, Grundbucheintrag für Grundbucheintrag, nachzuvollziehen versuchte. Es war, als müßte man ein Puzzle auseinandernehmen, um die Teile, die ein trügerisches Bild ergeben hatten, in ihre eigentliche Reihenfolge zu bringen. Schutzwürdig und damit redlich sollen diejenigen sein, die sich auf die in der ehemaligen DDR formell bestehende Rechtslage eingerichtet und sich – gemessen an dieser Rechtslage –korrekt verhalten haben. Den Satz aus Fiebergs und Reichenbachs Einführung in das Vermögensgesetz kannte er inzwischen auswendig. Absichtlich hatte er einen alten Golf gekauft, kein neues Auto. Für die meisten war er trotzdem ein Abgesandter der Siegermächte. Die Sowjetunion gehörte nicht mehr dazu.
    Nach dem Referendariat bekam er ein Angebot von Golbert & Schreiber. Schreiber selbst und Robert, der gleichzeitig mit Jakob in die Kanzlei eingetreten war, befaßten sich mit Paragraph 1, Absatz 6 des Vermögensgesetzes: Dieses Gesetz ist entsprechend auf vermögensrechtliche Ansprüche von Bürgern und Vereinigungen anzuwenden, die in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben. Er selbst spezialisierte sich auf Fragen des Investitionsvorrangs. War ein vormaliger Besitzer nicht auffindbar, durfte ein Investor, unbeschadet der ungeklärten Besitzverhältnisse, seine Pläne in die Tat umsetzen. Vor den endgültigen Entscheidungen mußte das Leben weitergehen.
    Hans war in ihrer ersten gemeinsamen Wohnung in der Wiener Straße geblieben. Noch nachdem Jakob längst ausgezogen war, trafen sie sich dort alle paar Tage, er und Jonas, Marianne, Patrick, mitsamt deren wechselnden Bekanntschaften, Maler meistens wie Jonas und Patrick oder Germanisten, Journalisten, nie ein Rechtsanwalt. Sie saßen an dem langen und wackeligen Tisch, den Patrick durch eine Spanholzplatte und zwei zusätzliche Füße auf zweieinhalb Meter verlängert hatte, die stillschweigende Verabredung besagte, daß jeder etwas zu essen oder wenigstens eine Flasche Wein mitbrachte, und später, als Hans nach dem Referendariat, dem zweiten Staatsexamen seine erste Stelle hatte und genug verdiente, kaufte er große, neue Töpfe und Pfannen, einen zweiten Herd, ließ sich den Wein liefern, duldete nicht länger, daß diejenigen Freunde, die sich mit Stipendien, dem viel zu seltenen Verkauf eines Bildes gerade über Wasser hielten, irgend etwas mitbrachten außer allenfalls einer Zeichnung, einem Druck, einem Foto. In einem der beiden großen Zimmer, die er immerhin renoviert hatte, stand ein Grafikschrank. Die Wände waren weiß gestrichen, kahl.
    Im Gegensatz zu Hans zog Jakob gerne um. Bücher und Kleider in Kartons, und weg damit. Verschenkte Bett und
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