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Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition)
Autoren: Katharina Hacker
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versteckte sie sich hinter dem Sofa und streichelte Polly. –Nun hilf mir doch, sagte Dave später, er hielt Teller und Besteck in der Hand. –Du wirst sehen, sagte er, Mum bringt etwas zu essen mit, und heute abend sitzen wir alle vier hier um den Tisch. –Und Polly, sagte Sara. –Und Polly, stimmte Dave zu.

2
    Der Fernseher thronte auf einem niedrigen braunen Regal, über das Parkett flackerten die Schatten der in sich zusammenstürzenden Türme, der Menschen, die sich von den Fassaden lösten und in den Tod sprangen. Gläser und Teller für mindestens dreißig Gäste standen auf dem Eßtisch, aber die meisten waren nicht gekommen. Ginka hatte nachmittags drei Flaschen Gin gekauft und einen Kasten Schweppes, –für die, die etwas Stärkeres als Wein brauchen, sagte sie und zeigte auf Jakob, der zum ersten Mal eingeladen war. Am Morgen war er aus New York zurückgekommen, tags zuvor noch im World Trade Center gewesen, die anderen scharten sich um ihn wie um einen Überlebenden und stellten Fragen, die er nicht beantwortete; er war unkonzentriert. Isabelle verschwand in Ginkas Arbeitszimmer, um Alexa anzurufen, der Anrufbeantworter sprang an, und Isabelle fragte sich, wo Alexa und Clara diesen Abend verbrachten. Vor dem Fernseher war Isabelle fast in Tränen ausgebrochen, mit dem Telefon in der Hand, Alexas kurzer Ansage lauschend, fand sie es absurd, über Menschen zu weinen, die man nicht kannte, und unzählige andere Tote unbeweint zu lassen. Ein kleines, graues Sofa stand in Ginkas Büro, der Lederbezug war abgesessen, ein Kissen verrutscht, jemand hatte versucht, einen Fleck wegzureiben, eine längliche, helle Verfärbung verriet es. Sie setzte sich, schnürte nach kurzem Zögern die Schuhe auf, legte die Füße auf die Lehne, sie wollte die Augen schließen, nur für ein paar Minuten, als es klopfte und Jakob eintrat, er setzte sich umstandslos neben sie, ihre Füße berührten fast seinen Hals. Du erinnerst dich nicht, konstatierte er. Sie betrachtete ohne Neugierde das rotblonde Haar, die etwas zu weichen Gesichtszüge, die rundlichen Backen, die den Mund kleiner erscheinen ließen und durch die kräftige Nase und hohe Stirn ausgeglichen wurden, er sah gut aus oder jedenfalls angenehm. Sie erinnerte sich nicht. Auf einem alten, kleinen Tischchen mit dünnen Beinen stand ein Wasserglas mit drei verblühten Rosen, die Stengel hatten sich schon dunkel verfärbt, im schimmernden Wasser schwamm ein Blatt darin, wie vergrößert. Ginka rief etwas, rief nach ihr oder nach dem Mann, der vorsichtig ihre Hand faßte, in der seinen hielt, die ein wenig feucht war, und wartete. Freiburg, dachte Isabelle. Ungeachtet der zurückgelegten Kilometer, der Jahre und unzähligen Entscheidungen, Handgriffe, spie das Gedächtnis seine Erinnerungen aus, an die regennassen Baumstämme, kahl und dunkel in der Dämmerung, an das ausgedünnte Unterholz, wie zerzaust von einem Sturm, der doch so tief in den Wald nicht eingedrungen sein konnte, an den steilen Anstieg zum Bromberg hinauf, wo im Sommer unter Buchen Gras wuchs wie auf einer Lichtung, da die Bäume entfernt voneinander standen, als wollte keiner in seiner Ruhe gestört werden. Erstaunt sagte sie seinen Namen. Jakob. Sie erinnerte sich an den Spaziergang vor zehn Jahren, an den Wald, die Dämmerung und Nässe, an die Verwirrung, die sie nach Jakobs Hand hatte greifen lassen, obwohl sie wußte, daß sie zu ihrem Liebhaber zurückkehren würde, in ihr verwahrlostes und demütigendes Zusammenleben. Durch die halb geschlossene Tür fiel ein Lichtstreif genau auf die drei Rosen.
    Jakob atmete ruhig ein und aus, ihr Gesicht war noch immer faltenlos, vielleicht war der Leberfleck eine Spur größer geworden, und ihr Hals schien weicher, er hätte ihn gerne geküßt. Ihre Augen erwiderten unbefangen seinen Blick, sie hatte sich damals im Wald gefürchtet und in sein schlecht geheiztes Studentenzimmer mitnehmen lassen. Er begriff, daß sie nicht auf ihn gewartet hatte.
    Ginka trat in die Tür, auf ihren Stöckelschuhen und schmerzlich grimassierend. Als sie die beiden auf dem Sofa fand, brach sie in Gelächter aus und rief den anderen etwas zu, das niemand verstand.
    Zu Hause versuchte Isabelle noch einmal vergeblich, Alexa zu erreichen. Der Fernseher lief, in einer perfekten, geraden Linie flog das Flugzeug auf den zweiten Turm zu.

    Am nächsten Morgen war sie im Büro die erste. Sie schaltete den Computer ein, öffnete die Fenster, das Kopfsteinpflaster sah nach dem gestrigen
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