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Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition)
Autoren: Katharina Hacker
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wiederholte sie immer wieder, was sie gehört hatte, daß es nie mehr sein würde wie bisher, die ganze Welt, das Leben, und nachts, als sie endlich eingeschlafen war, wimmerte sie. Langgezogen, pausenlos, bis er sie stieß oder rüttelte, ein winziges, nicht endendes Wimmern, wie ein loop , als wäre das Zeitmaß verändert, als hieße die gültige Geschwindigkeit seit diesem langsamen Zusammensacken der Türme Zeitlupe. Tagelang ließ Mae alles durcheinanderliegen, in der Küche und im Zimmer auch. Irgendwann blieb das Fenster offenstehen, der Teppich wurde naß, es stank, Mae sagte, daß es stank. Ließ alles liegen. Der Geruch blieb, nachdem Jim kurzerhand den Teppich herausgerissen hatte. Kein Leben so. Was ging Mae das alles an, was ging ihn das an? Auf dem Estrich lange Streifen von Klebstoff. Und wie sie auf dem Sofa hockte, dem gelben Sofa, früher gelben Sofa, früher fast neuen Sofa, das Albert ihnen gebracht hatte, wie auch den Tisch und die Stühle, seine Wohnungen, für meine Mitarbeiter, was Ben wie ein Papagei nachplapperte. Ben, der stolz darauf war, Alberts rechte Hand zu sein. Er hatte ein Auge auf Mae geworfen, ein mieses, unterwürfiges Arschloch, schaffte es, Jim aufzubringen, kam ungefragt, lästerte über die Wohnung, wo es stank und nichts im Kühlschrank war. Ein paar größere Sachen gab es, in den Vororten und sogar außerhalb, Albert hatte die Idee, bei Leuten einzubrechen, die aus London weggezogen waren, sich sicher fühlten, vor allem mittags sicher fühlten, tagsüber, in den kleinen Vororten und Städtchen, wo alles so friedlich war, daß sie keine Alarmanlagen einbauten und sogar die Fenster offenließen und einander vertrauten. Keine Einbrüche mehr, hatte er vor einem Jahr verkündet, aber jetzt galt das nicht mehr, und Jim sah die Gärten, kleine Häuser mit Gärten davor oder drumherum, er war seit zehn Jahren nicht aus London herausgekommen, und jetzt all diese Häuser, gepflegt, friedlich. Mae und er hatten nicht einmal ein Bett, nur eine Matratze. Field Street, der reine Hohn, kein Grün weit und breit, statt dessen Lärm und Baustellen und Dreck. Was Mae tat, wohin sie ging, sobald er aus dem Haus war, wußte Jim nicht. Die Straße hinunter, Richtung King’s Cross, wo Albert sie aufgesammelt hatte. So laut hier, daß Maes Husten leise klang. Und er dachte an all die Programme für Aussteiger. Nur, wer glaubte daran? Anti-Drogen, Anti-Prostitution, Anti-Kriminalität. Er wollte weg, mit Mae. Sie lag auf dem Sofa ausgestreckt, sagte, sie wolle aufhören, versprach es ihm. Am Fenster stand sie, wenn er ging, lag auf dem Sofa, wenn er zurückkam, ihr Körper wurde schlaff, sobald er sie umarmte, und wenn er in sie eindrang, hustete sie, hustete, bis er fühlte, daß er taub wurde. –Hör endlich auf! Er mußte genug Geld zusammenkriegen, damit sie wegkonnten. Keine Einbrüche mehr, nur noch Drogen, hatte Albert gesagt. Dann doch wieder Einbrüche, und Jim machte mit, um endlich ein paar Tausend Pfund zusammenzubekommen. Es waren mehr Polizisten, die herumliefen, kontrollierten. Der Spätherbst war kalt und naß. Die Fenster schlossen nicht, oder Mae vergaß, sie zu schließen. Die Heizung funktionierte nicht oder funktionierte allzugut, es war unerträglich heiß, es stank, Ben war dagewesen, hatte ihr irgendwas gebracht, Tabletten. Da stand sie, am Fenster, richtete sich auf, trug ein eng anliegendes blaues Wollkleid, dunkelblau, keine Schuhe. Sah aus wie ein Schulmädchen. Ihre etwas zu kräftigen, hübschen Oberschenkel zeichneten sich deutlich ab. Da stand Mae, hielt sich an der Tür fest, die Augen halb geschlossen. Da stand Mae, sah ihn, lachte, lachte und fiel auf das Sofa. Gelb, früher einmal gelb. Beugte sich vor, würgte, Schleim tropfte aus ihrem Mund; sie wurde immer dünner.
    Sie sagte, daß sie den Staub verabscheue und daß es hier nicht besser sei als dort, in New York, und wie viele der Staub zugrunde richtete, daß keiner darüber redete, über die Toten. Sie wollte Tee. Es wurde Dezember, im neuen Jahr, sagte Jim, würden sie aus der Stadt weggehen, ein neues Leben beginnen, sobald er genug Geld hatte, aufs Land ziehen. Sie wollte Tee trinken und daß er Scones mitbrachte und Kuchen. Die Baustelle um King’s Cross breitete sich immer weiter aus, sogar das Midland Grand wurde renoviert. Albert behauptete, in ein paar Jahren würde es eine gute und wohlhabende Gegend sein, sie würden dankbar sein, in der Field Street zu wohnen. Jim sagte, wenn Mae nicht
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