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Die große Zukunft des Buches

Titel: Die große Zukunft des Buches
Autoren: Umberto Eco , Jean-Claude Carrière
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l’Audiovisuel, das den Auftrag hat, audiovisuelles Material zu archivieren, bedeutete da einen radikalen Perspektivenwechsel.
     
    U. E.: Ich habe 1954 fürs Fernsehen gearbeitet; ich erinnere mich, dass damals alles live ausgestrahlt wurde und dass man noch keine Magnetbandaufzeichnungen machte. Es gab da ein Ding, das Transcriber genannt wurde, bis man herausfand, dass es dieses Wort im angelsächsischen TV-Jargon gar nicht gibt. Das war eine Kamera, mit der ganz einfach der Bildschirm abgefilmt wurde. Weil es sich jedoch um ein schwerfälliges und teures Gerät handelte, musste eine Auswahl getroffen werden. So ist vieles verlorengegangen.
     
    J.-C. C.: In diesem Zusammenhang kann ich auch ein schönes Beispiel anführen. Es geht um fast so etwas wie eine Inkunabel des Fernsehens. 1951 oder 1952 hatte Peter Brook für das amerikanische Fernsehen einen King Lear mit Orson Welles in der Hauptrolle gedreht. Doch diese Sendungenwurden ohne jede Aufzeichnung ausgestrahlt, und so ist nichts erhalten geblieben. Nun stellte sich aber heraus, dass dieser King Lear von jemandem abgefilmt worden war. Mit anderen Worten, auch da hatte jemand, während der Film lief, mit seiner Kamera auf den Bildschirm gehalten. Heute ist das eines der Glanzstücke im Fernsehmuseum von New York. In vielerlei Hinsicht erinnert mich das an die Geschichte des Buches.
     
    U. E.: Bis zu einem gewissen Punkt. Die Idee, Bücher zu sammeln, ist sehr alt. Es ist dem Buch also nicht wie dem Film ergangen. Der Kult der geschriebenen Seite und später des Buches ist so alt wie die Schrift selbst. Schon die Römer wollten Schriftrollen besitzen und sammeln. Wenn Bücher verlorengingen, dann aus anderen Gründen. Sie verschwanden aus Gründen der religiösen Zensur oder weil die Bibliotheken die Tendenz hatten, bei jeder Gelegenheit in Flammen aufzugehen, genauso wie die Kathedralen, da beide vorzugsweise aus Holz gebaut waren. Eine Kathedrale oder eine Bibliothek stehen in Flammen – im Mittelalter war das ungefähr so, wie wenn in einem Kriegsfilm ein Flugzeug über dem Pazifik abstürzt: Es war normal. Die Tatsache, dass in Der Name der Rose die Bibliothek in Flammen aufgeht, war damals überhaupt nichts Außergewöhnliches.
    Aber dieselben Gründe, aus denen die Bücher brannten, machten es gleichzeitig erforderlich, sie an einem sicheren Ort zu verwahren, also zu sammeln. Das führte zur Herausbildung des Mönchtums. Vermutlich war es die wiederholte Einnahme und Plünderung Roms durch die Barbaren und ihre Angewohnheit, die Stadt vor ihrem Abzug in Brand zu stecken, was den Gedanken an einen Ort aufkommen ließ, wo man die Bücher sicher verwahren könnte. Und was wäresicherer als ein Kloster? Man fing also an, bestimmte Bücher vor den Gefahren, die das kulturelle Gedächtnis bedrohten, in Sicherheit zu bringen. Zugleich aber, indem man die Wahl traf, bestimmte Bücher zu retten und andere nicht, begann man natürlich auch zu filtern.
     
    J.-C. C.: Während der Kult um seltene Filme gerade erst im Entstehen begriffen ist. Man kann freilich auch Sammler von Drehbüchern finden. Früher landete das Drehbuch nach Abschluss der Dreharbeiten meist im Papierkorb, wie die Druckplatten der Comics, von denen Sie sprachen. Doch schon Ende der vierziger Jahre begann sich der eine oder andere zu fragen, ob das Drehbuch nicht doch auch nach Fertigstellung des Films einen gewissen Wert haben könnte, zumindest einen kommerziellen.
     
    U. E.: Jetzt gibt es einen Kult um berühmte Drehbücher wie das von Casablanca .
     
    J.-C. C.: Vor allem natürlich, wenn im Drehbuch handschriftliche Notizen des Regisseurs zu finden sind. Ich konnte beobachten, wie Drehbücher von Fritz Lang mit seinen Notizen darin Gegenstand einer an Fetischismus grenzenden Bibliophilie wurden und wie andere Liebhaber ihre Besitzstücke kostbar binden ließen. Aber ich komme noch einmal kurz auf die Frage zurück, die ich vorhin angeschnitten habe. Wie soll man sich heute eine Videothek einrichten, welche Datenträger soll man dafür wählen? Man kann unmöglich Filmkopien auf Silbernitrat zu Hause aufbewahren. Man bräuchte einen Vorführraum, einen eigenen Saal und Lagerräume. Die Magnetbandkassetten verlieren, wie man weiß, ihre Farbe, ihre Schärfe und verblassen bald. DieCD-ROMS sind am Ende, die DVDs werden es auch nicht mehr lange machen. Und im Übrigen ist es, wie gesagt, nicht einmal sicher, dass wir in Zukunft über ausreichend Energie verfügen, um all unsere Maschinen am
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