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Die große Zukunft des Buches

Titel: Die große Zukunft des Buches
Autoren: Umberto Eco , Jean-Claude Carrière
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scheint mir einzigartig. Doch zurück zu unserer Frage: Welche Bücher würden wir im Fall eines Unglückszu retten versuchen? In Ihrem Haus ist Feuer ausgebrochen, wissen Sie, welche Werke Sie zuerst versuchen würden, in Sicherheit zu bringen?
     
    U. E.: Nachdem ich so gut von den Büchern gesprochen habe, lassen Sie mich anmerken, dass ich zuerst meine externe Festplatte mit 250 Gigabytes an mich reißen würde, auf der meine sämtlichen Schriften der letzten dreißig Jahre gespeichert sind. Danach würde ich, wenn noch Gelegenheit ist, eines meiner kostbaren alten Bücher retten, nicht unbedingt das teuerste, sondern das, das ich am meisten liebe. Nur: wie soll man da auswählen? Ich hänge an so vielen von ihnen. Ich hoffe, dass mir nicht zu viel Zeit zum Überlegen bleibt. Sagen wir, ich würde die Peregrinatio in Terram Sanctam von Bernhard von Beydenbach nehmen, Speier, Drach, 1490, mit prächtigen Stichen auf mehreren eingefalteten Seiten.
     
    J.-C. C.: Ich für meinen Teil würde wohl ein Manuskript von Alfred Jarry mitnehmen, eins von André Breton, ein Buch von Lewis Carroll, das einen Brief von ihm enthält. Octavio Paz ist etwas Schlimmes widerfahren: Seine Bibliothek ist in Flammen aufgegangen. Eine Tragödie! Und Sie können sich vorstellen, was die Bibliothek von Octavio Paz war! Mit dem ganzen Schatz der Werke, die die Surrealisten auf der ganzen Welt ihm gewidmet hatten. Das war der große Schmerz seiner letzten zwei Jahre.
    Würde man mir dieselbe Frage im Hinblick auf den Film stellen, fiele mir die Antwort noch schwerer. Warum? Ganz einfach, weil, wie gesagt, viele Filme verschwunden sind. Es gibt sogar Filme, an denen ich selbst mitgewirkt habe, die unwiederbringlich verloren sind. Wenn das Negativ weg ist,existiert der Film nicht mehr. Und auch wenn das Negativ noch irgendwo erhalten ist, braucht es oft lange, bis man es wiederfindet, und eine Kopie davon zu ziehen ist teuer.
    Mir scheint, an der Welt der Bilder und zumal des Films wird das Problem der exponentiellen Beschleunigung moderner Technik sehr gut erkennbar. Sie und ich, wir sind in einem Jahrhundert geboren, in dem zum ersten Mal in der Geschichte neue Sprachen erfunden wurden. Hätte unsere Unterhaltung vor hundertzwanzig Jahren stattgefunden, so hätten wir uns auf Theater oder Bücher beziehen können. Radio, Film, Aufzeichnungen von Stimme und Ton, Fernsehen, synthetische Bilder, Cartoons, das alles hätte es noch nicht gegeben. Jedesmal, wenn eine neue technische Errungenschaft auf den Plan tritt, will sie unter Beweis stellen, dass sie uns von den Regeln und Zwängen entbindet, die alle früheren Erfindungen mit sich brachten. Sie gibt sich stolz und einzigartig. Als ob das neue technische Gerät automatisch eine natürliche Befähigung ihrer neuen Nutzer mit sich brächte, die alles Lernen überflüssig macht. Als ob sie von sich aus ein neues Talent mitlieferte. Als ob sie sich anschickte, alles bisher Dagewesene beiseite zu fegen und all jene, die es wagen sollten, sie abzulehnen, als zurückgebliebene Analphabeten abzustempeln.
    Ich war mein Leben lang Zeuge dieser Art von Erpressung. Während in Wirklichkeit das genaue Gegenteil passiert. Jedes technische Gerät erfordert langwieriges Erlernen einer neuen Sprache, ein umso langwierigeres, je mehr wir geistig durch den Gebrauch der bisher gewohnten Sprachen geprägt sind. In den Jahren 1903–1905 etwa bildet sich die neue Sprache des Films heraus, die man unbedingt kennen muss. Viele Schriftsteller glauben, sie könnten einfach so vom Roman zum Drehbuchschreiben wechseln. Sie täuschensich. Sie sehen nicht, dass diese beiden geschriebenen Objekte – Roman und Drehbuch – in Wirklichkeit zwei verschiedene Schreibweisen verwenden.
    Die Technik ist keineswegs eine Erleichterung. Sie ist eine Herausforderung. Ein Theaterstück für das Radio zu bearbeiten – nichts schwieriger als das.

Die Hühner haben ein Jahrhundert
gebraucht, um zu lernen, dass sie nicht
über die Straße laufen dürfen
    J.-P. DE T.: Kommen wir zurück auf die technischen Veränderungen, die zur Abkehr vom Buch beitragen könnten. Zweifellos sind die Instrumente der Kultur heute anfälliger und weniger dauerhaft, als unsere Inkunabeln es waren, die die Zeit auf bewunderungswürdige Weise überstanden haben. Aber ob wir wollen oder nicht, diese neuen Werkzeuge verändern unsere Denkweisen grundlegend und entfernen uns von denen, die im Umgang mit dem Buch bestimmend waren.
     
    U. E.: Die
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