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Die Goldmacherin Historischer Roman

Titel: Die Goldmacherin Historischer Roman
Autoren: Sybille Conrad
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senkte sie den schmalen Rand auf die Wundränder.
    Der Schrei war so durchdringend, kein Löwe hätte lauter
brüllen können. Der Grabemeister bäumte sich gegen den Klammergriff Oswins auf. Bei der zweiten Berührung Aurelias fiel er in sich zusammen, sein Kopf kippte schlaff auf Oswins Arme.
    »Ist er tot?«, fragte sie entsetzt.
    »Ohnmächtig. Schnell, seng weiter. Wir verkürzen ihm so die Qual.«
    Der Gestank des verbrannten Fleisches hob Aurelia den Magen. Dennoch versorgte sie tapfer alle Wundränder.
    »Ich lege die Nesselblätter auf. Oswin hält ihn so lange.« Der Medicus griff schon in den vorbereiteten Zuber. »Hol du frisches Wasser am Brunnen. Wir waschen ihm vorm Verbinden das verkohlte Fleisch ab.«
    Aurelia stürzte vor das Zelt in die Nacht. Hinter dem nächstbesten Haufen Gerätschaften übergab sie sich. Sie sah nur noch das verkokelte, blutige Fleisch der Wunden vor sich. Erst nach einer kurzen Weile merkte sie, wie gut ihr die frische Luft tat.
    Das Wasser würde sie gleich holen. Aurelia konnte nicht mehr an sich halten, sie musste es einfach wagen. Sie musste Romuald sehen, selbst wenn er sich in den Fängen irgendwelcher Hexenkräuter verloren hatte.Vorsichtig tastete sie sich im Dunkeln an den Zelten vorbei.
    Ein kühler Hauch wehte um ihren Kopf, Wolken trieben über den Sternenhimmel, schluckten das Licht und spien es durch Geistermünder aus. Schleier lagen um die weiße Mondsichel, dunkel erhoben sich die Zacken der Zelte vor dem Nachthimmel. Eine Eingebung erfasste ihren ganzen Geist, wie auf einer Woge glitt sie auf das Zelt unten am Hang zu.
    Aurelia teilte vorsichtig die Stoffbahnen des Zelts, das Oswin bezeichnet hatte. Ein beißend kräuterbitterer Geruch schlug ihr entgegen, der gräsern und doch wie spitz roch. Salvia divinorum - Göttersalbei, sie hatte keinen Zweifel.

    Ein Windlicht erhellte spärlich das Zelt des Hufschmieds. Zwei Lager waren links und rechts, dahinter standen Kisten, aus denen Kleider, Geschirr und Zeugs quollen. Auf einer Matte kniete ein Mann. Es war Romuald.
    Seine Schultern waren vornübergesackt, das lockige schwarze Haar erschien Aurelia grau in den Dämpfen, die von der breiten Schale aufstiegen, die zwischen seinen Schenkeln stand. Darunter schimmerte es wie von Glut. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    Sie hörte ihn tief einatmen. Seine Hände, diese wunderbaren Finger waren gekrümmt wie Krallen und fuhren haltlos in der Luft über der Schale herum, in seine Haare, auf seinen Knien entlang. Er ließ den Kopf mit geschlossenen Augen zurückfallen, er atmete nicht.
    Das geliebte Gesicht war so fahl, die Wangen hohl, der Mund wie geifernd halboffen – der Rausch hatte Romuald in der Gewalt. Aurelia zerriss es das Herz. Sie wollte zu ihm stürzen, sich ihm offenbaren, ihn kosen und umarmen. Schon machte sie einen Schritt auf ihn zu.
    Noch einen Schritt, und du zerstörst alles! Warum folgst du nicht unserem Rat?
    Aurelia hielt inne.
     
    »Romuald, mein Sohn, hörst du nicht?«
    Sein Vater war schon lange tot. Doch klang die Stimme so vertraut, wer flüsterte da? Er schwebte auf dem weichen Tuch, in das ihn der Hexensalbei eingehüllt hatte. Nur weiche, warme Dinge hatte er ertragen mögen. Nicht die Träume des Bilsenkrauts, die ihn so jäh in die Hölle stürzen konnten, nicht die spitze Geilheit, die der Rotdorn schenkte, nichts konnte er ertragen nach so viel Schlachtblut, zerrissenem Gedärm und Todesdunst, nichts als diese wabernde Weichheit.
    »Romuald, mein Sohn, hörst du nicht?«

    Kein Mann, eine Frau, die Stimme hallte in ihm wider; keine Frau, ein Mann rief ihn. Romuald öffnete die Augen.
    Der Rauch des Hexensalbeis waberte beißend im Zelt.
    Helle Augen schauten ihn an, voll Liebe, so wie nur … Doch das Gesicht schwebte vor dem Zelteingang, die Stoffbahnen fielen glatt wie je. Ein grauer dünner Kinnbart, strähniges Haupthaar fiel unter einer Mütze hervor.
    »Wer bist du?«, hustete Romuald über der Schale mit dem Hexensalbei zwischen seinen Knien.
    »Verlorener Sohn! Erkennst du den Heiligen deiner Zunft nicht mehr?«
    Bei Gott, der Bart, die feine Haut. Romuald bekreuzigte sich und streckte die offenen Hände dem Heiligen entgegen. »Verzeih mir, o heiliger Johannes.«
    »Wirst du mir wieder nachfolgen, wie du es dereinst im Zunfthaus geschworen hast?«
    Die Stimme war so liebevoll, so sanft. Sie erfüllte Romuald mit einer kindlichen Freude. Er erinnerte sich an Mainz, die Zunft, die glücklichen Zeiten … »Wie ich es
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