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Die Goldhaendlerin

Die Goldhaendlerin

Titel: Die Goldhaendlerin
Autoren: Iny Lorentz
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Nähzeug, damit ihr euch etwas anfertigen könnt. Denkt daran: Keiner von uns darf als Jude erkannt werden.«
    Sarah war entsetzt. »Aber Lea, sollen wir uns etwa als Christen verkleiden?«
    »Ja!« Lea wusste, dass sie auf die Gefühle der anderen keine Rücksicht nehmen durfte, wenn ihre Flucht glücklich enden sollte. »Ab dem heutigen Tag sind wir keine Juden mehr, sondern Ausgestoßene, die die Gesellschaft unserer Glaubensgenossen meiden müssen. Kämen wir zu einer jüdischen Gemeinde, würden die Ältesten uns sofort zu Ruben ben Makkabi zurückschicken oder uns sogar wie Diebe behandeln, weil ich einen Teil meines sauer verdienten Geldes mitgenommen habe. Uns wird nichts anderes übrig bleiben, als unter Christen zu leben. Wir werden den Sabbat nicht mehr so ehren können, wie es unsere Pflicht wäre, und unsere Festtage nur noch heimlich feiern dürfen.«
    Ketura und Jochanan stimmten bedrückt zu, während Sarah und Gomer aufschluchzten und abwehrend die Hände hoben. Doch nach einer kurzen, aber heftigen Diskussion war allen klar, dass Lea die Wahrheit sprach. Es gab keinen Weg zurück.
    Als eine verbissene Stille eintrat, hob Jochanan den Kopf. »Vielleicht kann Herr Fischkopf uns helfen. Er hat doch schon Leute unterstützt, die sich neu ansiedeln mussten.«
    Lea atmete tief durch. Mit genau diesem Entschluss hatte sie in der letzten Stunde gerungen. »Du hast Recht, Jochanan. Wir werden zu Orlando gehen.«

6.
    Orlando starrte durch das Fenster auf den Hafen, ohne die Schiffe zu sehen, die dort lagen. Er fühlte sich leer und entschlusslos und hatte überdies ein schlechtes Gewissen, weil er seinem Vater einfach nicht gehorsam sein konnte. Ein paarmal hatte er sogar schon überlegt, auf und davon zu gehen, Lea aufzusuchen und sie zu überreden, ein neues Leben mit ihm anzufangen, irgendwo in einem fernen Land, wo sie keiner kannte. Aber wenn er seine Familie verließ, würde sein Vater ihn verstoßen, und er musste als heimatloser Bettler und als ein ehrloser, pflichtvergessener Sohn, der seinen Eltern die gebührende Achtung und die Unterstützung im Alter verweigerte, vor die Frau treten, die er liebte. Lea war eine fromme Jüdin und würde ihm diesen Schritt höchst übel nehmen, selbst wenn es ihm gelang, sie von seinen ehrlichen Absichten zu überzeugen. Blieb er aber hier, konnte ihn nur ein Wunder vor einer Ehe mit einer ungeliebten Frau bewahren.
    Das ihm aufgezwungene Weib tat ihm jetzt schon Leid, denn es würde höchstwahrscheinlich kein gutes Leben an seiner Seite haben. Für ihn konnte eine andere Frau niemals mehr sein als ein Gefäß, in das er seinen Samen legte, um einen Sohn oder, besser gesagt, einen Enkel für seinen Vater zu zeugen. Je länger er hier oben eingesperrt war, umso stärker sehnte er sich nach Lea und umso sicherer war er, dass sie die Einzige war, mit der er sein Leben teilen wollte.
    Orlando war nicht bereit, seinem Vater nachzugeben, und verharrte wochenlang in brütendem Selbstmitleid. Eines Tages aber spürte er, wie sein Widerstand bröckelte. Die Enge seines Zimmers begann ihn in den Wahnsinn treiben und ließ es ihm besser erscheinen, seinem Vater den Gefallen zu tun und mit einer der ihm angebotenen Frauen den erwarteten Enkel zu zeugen. Gleichzeitig aber schwor er sich, an dem Tag, an dem er ihm ein gesundes Kind in die Arme legen konnte, auf und davon zu gehen und als einfacher Matrose auf einer Kogge oder Karacke anzuheuern, die möglichst weit weg fuhr, vielleicht sogar zu den wilden Küsten Afrikas, von denen viele Schiffe nicht zurückkamen. Gerade, als er sich ausmalte, wie er dort im Kampf mit einem der sagenhaften Ungeheuer fiel, die jene Landstriche besiedeln sollten, entfernte jemand den Balken, mit dem man seine Tür versperrt hatte. Alisio trat mit einem Gesicht ein, als hätte er alle Sabbatküchlein gestohlen.
    »Ich weiß nicht, ob Don Manuel billigen wird, was ich hier tue, junger Herr, doch es sind Gäste für Euch angekommen.«
    Orlando verzog das Gesicht. »Gäste? Nein, danke. Sag ihnen, sie sollen sich zum Teufel scheren.«
    Der Diener zog den Kopf ein, ließ sich aber nicht verscheuchen.
    »Sie wollen Euch unbedingt sprechen, Don Orlando, und behaupten, es wäre dringend.«
    Orlando zuckte mit den Schultern. Wahrscheinlich waren es irgendwelche Conversos, die sich auf eigene Faust ins Reich durchgeschlagen hatten und nun seine Hilfe benötigten. Vielleicht war es gut so, denn dieser Zwischenfall würde das Unvermeidliche noch ein wenig
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