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Die goldene Barke

Die goldene Barke

Titel: Die goldene Barke
Autoren: Michael Moorcock
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bärtige Gesichter, lange, von Bier und Tabak gebeizte Schnurrbärte. Tallow ging weiter auf den Schanktisch zu und tat voller Befangenheit so, als bemerke er die Stille und die Blicke nicht. Er näherte sich dem Wirt, der Bier in ein Glas laufen ließ. »Guten Abend«, lächelte Tallow.
    »Guten Abend, Sir«, erwiderte der Wirt und drehte an dem Hahn. »Was kann ich für Sie tun?« Er war glatt rasiert, und seine Backen waren weiß gefleckt.
    Tallows Augen reichten kaum zum Rand des Schanktisches. Er fühlte sich unbehaglich zwischen den bulligen Biertrinkern. Sie hatten wieder ihre Unterhaltungen aufgenommen, redeten aber nicht mehr so laut, lachten nicht mehr so herzhaft wie vorher.
    Tallow sagte mit mutiger Stimme: »Ich möchte ein Zimmer für die Nacht, wenn Sie die Güte hätten, mein Freund.« Er verwünschte seine Worte. Seine Stimme hatte von oben herab und hochmütig geklungen. Genau die Stimme, die diese Männer nicht ausstehen konnten. Er bemerkte aber mit Erleichterung, daß der Wirt lediglich nickte und lächelte. Ein oder zwei Fischer lachten, das war alles. Manchmal, dachte sich Tallow dankbar, ist mein Zwergenwuchs ein Vorteil.
    »Ma!« rief der Wirt mit erhobener Stimme nach hinten. Eine schlampig gekleidete Frau tauchte in der Tür hinter dem Schanktisch auf. Sie war dünn und zart, hatte aber große, freundliche Augen. Tallow war erleichtert, weil das jemand war, mit dem er umgehen konnte. Ihre Augen trafen sich, und sie lächelte ihn wie eine Mutter an.
    »Ma«, wiederholte der Wirt, »dieser Herr braucht ein Zimmer.« Die Frau nickte, trat an den Schanktisch, klappte einen Teil der Platte hoch und stellte sich vor Tallow hin. »Hier entlang, Sir«, sagte sie.
    »Sehr verbunden, Frau Wirtin«, seufzte Tallow zufrieden. Er war zu lange nicht in seinem Element gewesen. Jetzt war er wieder am rechten Platz. Er folgte ihr mit munteren Schritten nach oben.
    Das Zimmer, das ihm gezeigt wurde, war brauchbar. Es enthielt ein Bett, eine Waschkommode und einen Schrank. Tallow war zufrieden. Er sagte: »Mein Name ist Jephraim Tallow. Ich bin auf dem Weg den Fluß hinab. Ich habe angelegt, um Vorräte einzukaufen und mich die Nacht über auszuruhen.«
    »Sehr angenehm, Mr. Tallow. Wir heißen Mr. und Mrs. Ollert. Haben Sie einen weiten Weg gehabt?«
    »Weiter als sonst üblich für mich, gute Frau. Ich weiß nicht, wie weit, da ich auf meinem Boot eingeschlafen bin. Jedenfalls eine Reise von vierundzwanzig Stunden.« Er setzte zögernd hinzu: »Ich folge einem Schiff. Vielleicht haben Sie es vorbeifahren sehen oder von ihm gehört?«
    Sie verschränkte die Arme vor der Brust und zog die Schultern zurück. »Was für ein Schiff, und wie hieß es?«
    »Seinen Namen weiß ich nicht, liebe Frau.« Tallow setzte sich auf das Bett und fing an, die Stiefel auszuziehen. »Aber es war golden angemalt oder besser vergoldet. Kein Antrieb sichtbar, kein Maschinengeräusch.« Er war überrascht, zu sehen, wie sich ihre Augen verhärteten und ihr Mund zu einem Strich wurde.
    »Nein, Mr. Tallow. Wir haben kein solches Schiff vorbeikommen sehen. Wenn Sie aber meinen Rat hören wollen, ich würde ihm sowieso nicht nachfahren.«
    Sie hatte nicht gemerkt, daß sich die beiden Aussagen widersprachen. Tallow war erstaunt. Mrs. Ollert wandte sich um zur Tür. »Mein Mann wird bald heraufkommen und nachsehen, ob Sie etwas brauchen«, sagte sie und ging. Die Tür fiel mit einem Schlag zu, und Tallow war allein und lauschte ihren Schritten, die sich entfernten, bis sie sich in dem allgemeinen Lärm verloren, der aus der Wirtsstube nach oben drang.
    Er zuckte mit den Achseln und legte Mantel, Hemd und Hosen ab und schlug dann, nur noch mit Unterwäsche bekleidet, die Decken zurück und stieg ins Bett. Über ihm hing eine Lampe. Er ließ sie brennen.
    Eine halbe Stunde döste er vor sich hin. Die Fischer waren bald, nachdem er sich niedergelegt hatte, in die Nacht hinausgegangen. Er hörte die Treppe knarren und schwere Schritte näher kommen. Jemand klopfte an die Tür.
    »Herein!« rief Tallow lauter, als nötig gewesen wäre. Die Tür öffnete sich, und Mr. Ollert trat ein. Er blieb in der Nähe der Tür stehen.
    »Entschuldigen Sie die Störung, Sir. Möchten Sie morgen frühstücken?«
    »Ja, bitte«, sagte Tallow. »Ich werde früh aufsein, da ich so rasch wie möglich weiter möchte.« Er verstummte.
    Mr. Ollert blieb an seinem Platz. »Die Frau hat irgend etwas gesagt«, meinte er unsicher, »von einem goldenen Schiff, dem
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