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Die goldene Barke

Die goldene Barke

Titel: Die goldene Barke
Autoren: Michael Moorcock
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Freiheitskämpfer soviel Blut vergießen wie die unsichtbaren Unterdrücker. Und der Ort wird weniger durch Landschaftsbeschreibungen charakterisiert, als durch grobkörnige Fotografien rennender Volkshaufen, durch Gruppenaufnahmen seiner Bewohner und ihrer Waffen, durch einen Arm, der zurückgeschleudert wird, als die Kugel trifft, durch einen aufgerissenen Mund, durch anklagende Augen. Wir haben diese Körper, »die wie schmutzige Wäsche über den Zaun hingen«, schon in Kriegsberichten aus dem Mekongdelta, aus Abessinien und Katalonien gesehen:
    Eine Hundeleiche, aufgedunsen wie eine Blase, schlug gegen die Längsseite seines Bootes.
    Aufnahmematerial für die Tagesschau, von einem Mann mit tief eingezogenem Kopf aufgenommen, während das Jahrhundert wie eine Panzerabwehrrakete über ihn hinwegzischt; Frühnachrichten über Satellit aus dem Land, das Moorcock unlängst zu seinem eigenen gemacht hat.
    Inmitten dieses Blutbades, dieser Verzweiflung verrät Tal
    low, geschützt vom Panzer seiner Besessenheit, absichtlich oder unabsichtlich fast jeden, den er trifft. Er läßt Kinder und alte Männer im Stich. Er wirft seine Freundin in den Fluß. Jede seiner Entscheidungen hat direkt oder indirekt den Tod im Gefolge. Es ist weder Grausamkeit noch Überheblichkeit, denn Überheblichkeit und Grausamkeit erfordern Aufmerksamkeit, und Tallow schenkt sie nur der Barke – die jetzt mit ihm kokettiert und zeitweilig verschwindet – und sich selbst. »Es ist das Schicksal jedes Menschen, verschlungen zu werden, das zu verlieren, was ihn zu einer Persönlichkeit macht«, klagt er und ist entschlossen, nicht zum Menschen zu werden. Doch trotz seiner Halsstarrigkeit drängen sich ihm Leute auf, und das ist der wesentliche Inhalt des Buches.
    Miranda lauert ihm mit ihren grünen Zähnen und den sechs Zoll hohen Absätzen auf, wirklich eine Sexbiene à la Peake. Der Philosoph Mesmers greift seine feste Stellung mit der Artillerie der Selbstaufopferung an. Der Revolutionär Oberst Zhist schließlich ist verblüfft, ist ehrlich, obwohl ihm der Verrat in die Augen springt. Und nach und nach wird Tallow dazu gebracht, seiner Verantwortung als Mensch gewahr zu werden, auch wenn er sie nicht akzeptiert. Gemeinsam ziehen sie ihm den Zahn der Sicherheit, und zurück bleibt eine frische Lücke. Seine kariöse Vernunft bricht auseinander. Die Barke entschwindet. Aus und vorbei. »Wo führt der Fluß hin?« fragt er kläglich (seine Abgestumpftheit erinnert uns ein wenig an den frühen Cornelius, der in irgendeiner Situation mit hoher Entropie Trost sucht), und Miranda antwortet:
    »Er führt zum Meer, und die Seelen von uns allen sind nur kleine Tropfen, die aus dem Meer kommen.«
    Eine falsche Frage, denn sie bestärkt ihn im Verdacht, daß es ein Meer gibt. Tallow: von der Liebe durcheinandergebracht, von der Ideologie auseinandergenommen. Seine Schutzmauern sind schlimm zugerichtet, und er kann sie eigentlich nicht mehr wiederaufbauen, selbst als es ihm nach einer Reihe von Greueltaten schließlich gelingt, erneuter Gefangenschaft zu entkommen. Er kann seinen festen ursprünglichen Glauben nicht gänzlich wiedergewinnen. Dieser läßt sich nicht durch die Menschlichkeit allein ersetzen. Ihm bleibt nur die nackte Verfolgung, die endgültige Flußmündung, das Wasser am Ufer … Wir stellen uns selbst die Fallen, purzeln mit Freuden hinein. Jephraim Tallows Falle ist ideologischer oder wenigstens idealistischer Art. Im Alter von siebzehn Jahren, wenn sich fast alle von uns eine vereinfachte Karte des Labyrinths wünschen, auf der die Mitte unverrückbar in der Mitte eingezeichnet ist (wenn wir uns als letztes wünschen, daß uns die Sicherheit genommen wird, daß es eine Mitte habe), hat Moorcock anscheinend erkannt, daß Bindungen, die auf Besessenheit beruhen, kein Ersatz für Menschlichkeit sind. Das blieb ein Hauptthema, das selbst ins Zwielicht der phantastischen Romane mit ihren Helden, die dem Untergang geweiht sind, ihren Göttern und ihren endlosen Wintern von Ragnarök einfließt. Wir besitzen jetzt Die goldene Barke und entdecken, daß Jephraim Tallow mitten im späteren Werk wie eine Amöbe auftaucht. Sein erstes schüchternes öffentliches Auftreten, bei dem er schwer vermummt ist als Elric von Melnibone mit derselben Angst, aber vermutlich ohne dasselbe Köpfchen; seine kurze Verkörperung als Karl Glogauer, der es ein wenig zu weit trieb, und seine unvermeidliche Spaltung in die Hauptpersonen der Cornelius-Legende, auf
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