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Die goldene Barke

Die goldene Barke

Titel: Die goldene Barke
Autoren: Michael Moorcock
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genannt zu werden. Er konnte jedoch nichts tun. Vielleicht war der Richter, dieser Gesundheitsschützer, in der Lage, seines Amtes zu walten und ihn vor dem seltsamen Wahnsinn seiner Häscher zu schützen. Tallow bemühte sich, die Fassung zu bewahren. Er wollte auf den Richter einen guten Eindruck machen.
    Sie betraten das Büro des Richters. Wie der Flur war es mit poliertem, dunkelbraun gebeiztem Holz getäfelt. Durch ein großes Fenster mit weißen, gestickten Gardinen schien die Morgensonne. An den Wänden glänzten bronzene Leuchter und Tafeln. Rechts und links neben dem rauchgeschwärzten Kamin standen zwei bequeme Ledersessel. Ein Zimmer, das durch Jahre der Benützung wohnlich geworden war. In einer Ecke des Raumes saß hinter einem großen Eichenschreibtisch der Richter. Hinter ihm befanden sich Regale voller gewaltiger Gesetzesbücher.
    Der Richter war ein alter, zierlicher Mann mit blasser Haut und tief zerfurchter Stirn. Das lange weiße Haar hing ihm ins Gesicht, die Lippen waren fahl, und nur die Augen hoben sich von dem Weiß und Rosa seiner Gesichtsfarbe ab. Sie lagen dunkel umschattet unter der stark gewölbten Stirn, die den Rest des schmächtigen Gesichts wie von einem Hutrand überlagert erscheinen ließ. Seine Hände kamen aus den Ärmeln einer blauen Robe hervor, die den ganzen Körper bis zum Hals umhüllte, und lagen wie Klauen auf dem Tisch.
    »Unseren Gruß, Euer Ehren«, sagte Sergeant Vemmer und
nahm seine Mütze ab. Die drei Wachtmeister folgten seinem
Beispiel.
Der Richter blickte Tallow an.
»Setzen Sie sich doch, Mr. –?«
    »Tallow«, sagte Tallow. »Jephraim Tallow.« »Setzen Sie sich, Mr. Tallow.«
    Tallow dachte sich, der Richter habe eine Stimme wie weicher Käse, der eben gerieben wird.
    Der Richter wandte sich an Vemmer, der hinter dem Stuhl Aufstellung genommen hatte, auf den sich Tallow niederlassen wollte.
    »Weshalb ist der Herr hierhergebracht worden, Sergeant Vemmer?«
    »Um vor sich selbst geschützt zu werden, Sir.« Vemmer hustete. »Er sagt, er habe ein goldenes Schiff gesehen, Sir. Möchte den Fluß hinab, bis er es gefunden hat, Sir.«
      »Ich verstehe«, meinte der Richter ernst. »Offenbar ein echter Fall. Ich freue mich, daß Sie mir nicht die Zeit gestohlen haben, Sergeant. Wir müssen ihn vor sich selbst schützen.« »Aber Sie haben mich noch gar nicht angehört!« protestierte Tallow.
    »Mein lieber Herr«, erwiderte der Richter freundlich, »ich habe mir so viele Fälle angehört, so viele!« Er setzte seufzend hinzu: »Sergeant, bringen Sie Mr. Tallow ins Heim der Unseligen Brüder. Dort müßte es ihm bald besser gehen. Dann können wir ihm als besserem, verantwortlicherem Menschen gestatten, seinen Weg fortzusetzen.« »Aber …«, stotterte Tallow, »aber …?«
    »Es ist zu Ihrem Besten«, sagte der Richter, während der Polizist Tallow aus dem Raum führte. »Es ist zu Ihrem Besten, mein Junge.«
    Tallow glaubte beinahe schon, daß er tatsächlich wahnsinnig geworden sei. Man hatte ihm den Satz so oft wiederholt. Er wurde von Selbstmitleid überwältigt und gab nach. Mit schleppenden Schritten und gesenktem Kopf ging er durch den Flur auf die Straße hinaus, wo ein großer grüner Wagen auf ihn wartete. Eine goldene Aufschrift an der Seite des Gefangenenwagens sagte ihm, daß er Eigentum der GESUNDHEITS
    SCHÜTZER DES VOLKES war.
    Tallow stieg in den Wagen, der fensterlos und dunkel war. Vorne befand sich eine kleine Öffnung, durch die Tallow den Fahrer sehen konnte. Die anderen Polizisten saßen als Schatten in seiner Nähe.
    Die Maschine sprang heulend an, und der Wagen setzte sich rumpelnd und schaukelnd in Bewegung. Gott mochte wissen, wohin. Tallow legte seinen schmerzenden Kopf in die Hände und fing zu schluchzen an. Zu spät, um die Barke noch erreichen zu können.
    Der Wagen raste weiter, bis Tallow schließlich die Räder über knirschenden Kies rollen hörte und durch die Windschutzscheiben einen Blick auf ein großes Haus und grünen Rasen erhaschen konnte. Wohin hatte man ihn gebracht? Offenbar zu dem Heim, das der Richter erwähnt hatte.
    Der Gefangenenwagen hielt an, und einer der Polizisten machte die Tür auf. »Wir sind da, Mr. Tallow, Sir«, sagte er. Tallow stand auf, ging zur Tür und blinzelte in den Sonnenschein hinaus. Vor ihm ragte ein riesiges graues Haus auf. Ein Steingebäude, ein Haus mit vergitterten Fenstern. Ein Gefängnis.
    Die Polizisten umringten ihn, führten ihn die Stufen hinauf und durch einen offenen
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