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Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)

Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Anette Huesmann
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hatte. Lange starrte sie auf die Liste und wartete auf eine Eingebung. Doch es fiel ihr absolut nichts Vernünftiges ein. Frustriert nahm sie einen Stift zur Hand und strich die Namen der Toten aus. Es blieben noch vier Namen.
    Thomas Kern, Arzt.
    Josef Windisch, Priester.
    Schwester Lioba, Äbtissin.
    Gerhard Lehmann, Schulleiter.
    Das Dumme war, dass sie drei der Beteiligten nicht näher kannte und keine Idee hatte, ob ihnen eine solche Tat zuzutrauen war. Wie sollte sie herausfinden, wer von ihnen überhaupt fähig war, einen Mord zu begehen? Grübelnd betrachtete sie die Namen. Sie hatte das dumpfe Gefühl, in ihrem Unterbewusstsein bereits die Lösung gefunden zu haben. Doch sie bekam den Gedanken nicht zu fassen. Ihr fiel ein, dass die Grundlage der medizinischen Betrachtungen Hildegards von Bingen die Viersäftelehre bildete. Diese sah die Körperflüssigkeiten schwarze Galle, gelbe Galle, Blut und Schleim als Energieträger des Körpers. Vielleicht kam sie weiter, wenn sie es spielerisch versuchte.
    Emma setzte sich an ihren Laptop und schlug bei Wikipedia unter dem Stichwort Säftelehre nach. Das sei ein veraltetes Konzept hieß es dort, um allgemeine Körpervorgänge und auch Krankheiten zu erklären. Es wurde 400 vor Christus von den Hippokratikern, den Schülern des griechischen Arztes Hippokrates, in der Schrift »Über die Natur des Menschen« entwickelt. Aus der Säftelehre wurden dann Behandlungsmaßnahmen abgeleitet, besonders die bis zur frühen Neuzeit übliche Anwendung von Aderlässen, Schröpfköpfen und Abführmitteln. Auch die Temperamentenlehre ging darauf zurück, die vier Temperamente unterschied:Melancholiker, Choleriker, Sanguiniker und Phlegmatiker.
    Emma zog das Blatt mit den vier Namen zu sich her. Vier Namen. Vier Temperamente. Sie las die kurze Erläuterung bei Wikipedia und ging dann noch mal die ausführlichen Beschreibungen bei Hildegard durch. Emma starrte auf ihr Blatt. Ihren Vater kannte sie am besten. Sie fand, er entsprach am ehesten einem Melancholiker, der beharrend war. Schwester Lioba? Soweit Emma das beurteilen konnte, müsste sie eine Sanguinikerin sein, eher heiter. Josef Windisch hatte Emma nur kurz erlebt, dennoch ordnete sie ihn sofort dem Phlegmatiker zu, unsicher und emotional. Blieb Thomas Kern; er schien in die vierte noch fehlende Kategorie zu passen, Choleriker, kühn.
    Emma starrte auf ihre Notizen. Das Gefühl wurde stärker, dass sie der Lösung ganz nahe war, sie musste nur einen kleinen Schritt machen, dann würde sie den Gedanken zu fassen kriegen.
    Sie konzentrierte sich darauf, was noch im Spiel war. Sexualität. Sie zog das Buch über Hildegards Heilkunde zu sich heran und schlug die Seiten auf, die übertitelt waren mit »Vom geschlechtlichen Verhalten«. Hildegard von Bingen beschrieb alle vier Menschentypen, die sie entsprechend der Viersäftelehre definierte. Sie analysierte für jeden Typ die Ausprägung der Sexualität, Männer und Frauen getrennt. Emma ging die einzelnen Beschreibungen genau durch, ohne eine weitere Eingebung zu erhalten. Am Ende legte sie das Buch enttäuscht zur Seite.
    Wieder zog sie das Blatt mit den Notizen zu sich her. Sie krauste die Stirn, als sie sah, dass sie Josef Windisch als Phlegmatiker eingeordnet hatte. Sie sah noch einmal bei Wikipedia nach, wie dort ein Phlegmatiker beschrieben war. Er wurde als unsicher und emotional eingestuft, eherweiblich. Emma rieb sich die Stirn. Weiblich. Aber Windisch war ein Mann. Warum hatte sie ihn so schnell als Phlegmatiker eingestuft? Was hatte sie bei den Kastraten gelesen? Sie hatten einen weichen Körper. Wie Windisch. Weiche Gesichtszüge. Wie Windisch. Wurden leicht fett. Windisch war übergewichtig.
    Angenommen, er war ein Kastrat. Ihr fiel ein, dass sie neben dem Schreibtisch von Miriam Schürmann die Abbildung von Abaelard gefunden hatte, dem mittelalterlichen Gelehrten, der ein Verhältnis mit einer Schülerin angefangen hatte und dann zwangskastriert wurde. Danach wurde er Mönch. Was wäre, wenn Windisch körperlich bestraft worden wäre, so hart bestraft, wie man einen Mann nur bestrafen konnte. Kastration. Warum? Vielleicht weil er einer Frau die schlimmste Gewalt angetan hatte, die man einer Frau nur antun kann. Vergewaltigung. Und nun stand Windisch kurz davor, Bischof zu werden. Ein Posten, den er als Kastrat nicht einnehmen durfte. Und womöglich hatte er Ambitionen, Erzbischof oder sogar Kardinal zu werden. Eine Kastration könnte seine gesamte Karriere
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