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Die Glücksparade

Die Glücksparade

Titel: Die Glücksparade
Autoren: Andreas Martin Widmann
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ich es anfangen sollte, während er die Gläser anhauchte, abrieb und gegen das Neonlicht hielt.
    «Kann man damit arbeiten?», fragte ich. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn duzen oder siezen sollte.
    «Sag ich doch», sagte er.
    «Was?»
    «Bist du schwer von Begriff?»
    «Warum?»
    «Ich bin krankgeschrieben. Darum.»
    «Immer schon?» Ich wollte ihn nicht ärgern, merkte aber, dass es jetzt wahrscheinlich so wirkte. Gleichzeitig merkte ich, dass es mir egal war. Roland schüttelte den Kopf, aber ich hätte nicht sagen können, ob er damit auf meine Frage antworten wollte oder ob er es tat, um mir zu zeigen, wie albern er sie fand. Ich setzte mich auf den Boden, zog die Knie an und umschlang sie mit meinen Armen. So blieb ich, und erst beäugte er mich wie jemanden, der etwas Unfassbares getan hat, und irgendwann drehte er sich weg. Mein Vater kam zurück, reichte jedem ein Snickers und sagte, er hätte vorne im Büro erst noch Geld wechseln müssen, deshalb hätte es so lange gedauert. Wir aßen und tranken unsere Flaschen leer, und dann fuhren wir weiter.
     
    Wir nannten die Räume Küche, Bad und Schlafzimmer, obwohl sie das kaum waren. Auch mein Zimmer war kein Zimmer, sondern nur eine Kammer hinter einer dünnen Tür. Es war die mit dem Loch in der Wand, links von der Küche. Um alles unterbringen zu können, stapelten wir die Kartons bis unter die Decke. Außer dem Bett passte so nichts mehr hinein.
    «Gut, dass deine Mutter das jetzt nicht sieht», sagte mein Vater. Er zwinkerte mir zu. «Jenny, heirate nicht diesen Gammler», meckerte er, wie schon oft, wenn meine Mutter und er sich in einer Sache uneinig waren und sie ihm Vorwürfe machte. Weil er dabei seine Stimme verstellte und durch die Nase sprach, glaubte ich einige Jahre, er imitiere jemanden, vielleicht meine Oma, bevor mir klarwurde, dass er niemanden nachmachte. Er spielte einfach eine kurze Nummer und keifte mit dieser hohen Stimme herum. Das war entweder das Ende der Unterhaltung oder der Anfang eines sehr langen Gesprächs, und das, worum es dabei ging, war ebenfalls das Ende von etwas und der Beginn von etwas anderem. Doch bis ich das begriff, dauerte es noch lange.
    Wir schoben alles so eng zusammen, wie es nur irgendwie ging, und trugen mehrere Kisten, das Bügelbrett und eine metallene Wäschetonne zu der Hütte, in der mein Vater sein Büro haben würde. Sie stand kurz hinter der Einfahrt.
Ochsenblut
, sagte mein Vater, und er meinte die Farbe, in der sie gestrichen war. Was am Ende übrig bliebe, würde Roland in seinen Keller stellen und für uns aufbewahren. Er sagte, falls wir eines Tages wieder etwas Größeres hätten, könnten wir die Sachen zurückhaben, wenn wir wollten, und ich merkte, dass mein Vater nicht glücklich aussah in dem Moment. Aber er wünschte Roland alles Gute, dankte ihm, und wir gingen in den Container, um noch etwas Ordnung zu machen, und probierten noch verschiedene Varianten aus, in denen sich kleinere Möbel oder Geräte aufstellen ließen, und darüber wurde es draußen dunkel.
    Am Abend, als wir zurückfuhren zu unserer jetzt fast leeren Wohnung, sagte mein Vater, Roland stecke selbst ziemlich in der Klemme, und ich fragte, was das für eine Klemme sei.
    «Er hat versucht, mich anzupumpen», sagte mein Vater. «Nur deshalb hab ich ihn gebeten, uns zu helfen. Er hat darauf spekuliert, dass was für ihn abfällt, und wenn man sich auf jemanden verlassen muss, ist das das Beste, was passieren kann. Aber wenn du mich fragst, ob wir unsere Sachen noch mal wiedersehen, würde ich sagen: Wahrscheinlich nicht.»

[zur Inhaltsübersicht]
    [4]
    Die Wohnwagen und Hänger in der Ecke, in der unser Container stand, waren seit Jahren nicht bewegt worden. Einige hatten keine Räder mehr, sondern Fundamente aus Waschbetonsteinen, an denen schon Moos wuchs. Sie gehörten Leuten, die fast jedes Wochenende herkamen oder sogar den ganzen Sommer über blieben.
    Die Ersten, die ich kennenlernte, waren Klaus und Petra Hoffmann. Es war Samstagvormittag, und wir waren dabei, den Geräteschuppen auszuräumen und sauber zu machen. Er war aus Brettern gebaut und sah aus wie eine kleine Berghütte mit schrägem Dach. Mein Vater wollte ihn benutzen, um die Kisten aus meinem Zimmer darin unterzustellen, und er hatte vor, ihn neu zu streichen. Vorher aber mussten der Schmutz und die alte Farbe runter, jedenfalls an den Stellen, an denen sie aufgeplatzt war und abblätterte.
    «Ihr habt’s gut, könnt das ganze Jahr Urlaub machen
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