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Die Glücksparade

Die Glücksparade

Titel: Die Glücksparade
Autoren: Andreas Martin Widmann
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Fluss begradigt worden war. Von einem Ufer zum anderen waren es kaum mehr als zwanzig Meter, das Wasser floss langsam, und eine Autobrücke aus schweren Holzplanken führte hinüber. Auf der anderen Seite der Brücke stand ein Wegweiser: FERIENANLAGE AUE . Die Straße endete an einem Schotterparkplatz. Vor der Schranke waren zwei Teile eines Bauzauns mit einer Kette zusammengeschlossen, dahinter begann der Campingplatz.
    «Es gibt keinen Bus von dort. Wir werden dich mit dem Auto zur Schule fahren», sagte mein Vater. Er zeigte auf eine Reihe hoher Pappeln und sagte, die Bäume würden uns im Sommer Schatten geben. Jetzt besprühte ein feiner Nieselregen die Scheiben, und ich wäre gern einfach sitzen geblieben hinter dem langsam dichter werdenden Vorhang aus Nässe.
    Stattdessen stiegen wir aus, gingen mit großen Schritten durch den Regen und drängten uns unter einem Schirm zusammen. Nach ein paar Minuten, in denen nichts geschah, klappte ich meine Kapuze über den Kopf und ging los, um mich allein umzuschauen. Das Gelände jenseits des Parkplatzes war von einem Zaun umschlossen, der mir bis über die Schultern reichte. Auf der anderen Seite ragte über den Wipfeln die Spitze eines Sendemasts auf, der schon von weitem zu sehen gewesen war. Ich ging ein Stück unter den Pappeln am Ufer entlang. Wie häufig im Februar, wenn das Schmelzwasser aus dem Süden herunterkam, hatte es Hochwasser gegeben, von dem auch hier noch etwas zu merken war. Lose Zweige und Müll waren in den über den Fluss ragenden Ästen einiger Büsche und an den zur Befestigung aufgeschütteten Steinen hängen geblieben. Das Wasser war seitdem wieder gesunken und hatte das Treibgut, das sich verfangen hatte, zurückgelassen. Wenn es noch weiter sänke, würde niemand wissen, wie das Zeug in die Bäume gekommen war, dachte ich.
     
    Der Mann, der schließlich aus einem kleinen gelben Peugeot stieg, war von bulliger Statur, und seine dunklen Augenbrauen wuchsen so dicht zusammen, dass es aussah, als hätte er einen Schnurrbart über der Nase. Sein Haar war schütter, im Nacken lang, und er musste im Alter meiner Eltern sein. Er gab jedem die Hand, führte uns durch eine Tür im Maschendrahtzaun auf den Platz und entschuldigte sich dabei für die Verspätung. Er behauptete, es tue ihm wirklich
wahnsinnig
leid. Dann zeigte er ohne ein weiteres Wort auf den Container. Die Fenster wirkten dunkel, als wären sie von innen verhängt. In der näheren Umgebung standen mehrere solcher Kisten. Die meisten waren weiß, und eine schnitt jeweils die Sicht auf die dahinterliegende ab. Überall waren die Jalousien heruntergelassen oder die Läden vor den Fenstern geschlossen, wenn es welche gab. Nichts deutete darauf hin, dass Menschen hierherkamen, doch ich sagte mir, dass es an der Jahreszeit liegen musste, und versuchte, mir den Betrieb und das Leben hier vorzustellen.
    «Gibt es noch andere Interessenten?», fragte meine Mutter.
    Der Besitzer schüttelte den Kopf.
    «Ihr seid die ersten», sagte er. «Aber nächste Woche flieg ich nach Spanien, dann übergeb ich alles an eine Agentur.»
    Er schloss auf und ging hinter uns hinein. Drinnen gab es zwei Kammern, eine links und eine rechts von der Tür, und in der Mitte eine Küchenzeile und ein kleines Bad dahinter. Außer einem Tisch und zwei Klappstühlen waren keine Möbel da, und mein Vater begann, über die Einrichtung zu sprechen.
    «Es ist mehr Platz, als man denkt», sagte er flüsternd, als verriete er ein Geheimnis, das wir unbedingt für uns behalten sollten. Einige von unseren Sachen wollte er in einem Geräteschuppen unterstellen, bei Bekannten im Keller oder in einem Mietlager, und ein paar Möbel, die wir nicht mehr brauchten, würde er verkaufen oder weggeben.
    «Es ist nur für den Anfang, bis du wieder etwas gefunden hast und wir aus dem Gröbsten raus sind», sagte er leise zu meiner Mutter, bevor seine Stimme wieder laut wurde und er nach den Maßen fragte.
    «Muss ich nachschauen», sagte der Besitzer. «Aber ich weiß, dass es der größte Kasten hier auf dem Platz ist. Solche gibt’s bei uns sonst gar nicht, den hat einer importiert und so.»
    «Da haben wir ja Glück gehabt», sagte mein Vater.
    Wir standen im linken der beiden Räume. Ich versuchte mit ausgestrecktem Arm die Decke zu berühren. Es gelang ohne weiteres, ich konnte sogar die Handfläche dagegenstützen, als balancierte ich ein Tablett über dem Kopf. Der Besitzer strich seine Haare im Nacken über den Kragen, er faltete
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