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Die gläserne Welt

Die gläserne Welt

Titel: Die gläserne Welt
Autoren: Harry Hoff
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›Eintracht‹ bedeutet?«
    Die beiden Männer starrten jetzt die Matrone an – eine imposante Erscheinung, durchaus nicht von ihrem hohen Alter gebeugt. In ihren Zügen lag etwas Ehrfurchtgebietendes. Trotz mannigfaltiger Runzeln besaß sie noch immer ein feingeschnittenes, zartes Gesicht. Aus ihren stahlblauen Augen leuchtete ein lebhaftes Temperament.
    Taft verneigte sich ihr gegenüber. »Es tut mir leid, daß ich Sie stören muß, Mrs. Kennedy«, sagte er, »aber Sie werden mir dankbar sein, daß ich Sie warne – vor Ihrem Mörder, jawohl!«
    Die alte Dame trat einen Schritt zurück. Fassungslos. Orville packte Taft an der Brust. »Ein Verrückter!« schrie er, »hinaus mit ihm!«
    Wilbur entwand sich dem Gegner mit einer raschen Bewegung. »Warum regen Sie sich so auf?« fragte er, »wenn Sie in guter Absicht gekommen sind? Was bedeutet die kleine Flasche mit Gift, die Sie in Ihrer linken Rocktasche tragen? Unter dem Vorwand, ein medizinisches Experiment unternehmen zu wollen, haben Sie sich dieses Gift besorgt, das man in keinem menschlichen Körper nachweisen kann. Sie haben es der Medizin Ihrer Tante beimischen und dann gleich heute Abend nach Chikago abreisen wollen –«
    »Davon sprach er allerdings, daß er verreisen wollte«, sagte die alte Dame verwirrt und ließ sich vor dem Kamin in einen Klubsessel gleiten. Man sah, wie sie zitterte.
    »Das ist – das ist alles geradezu lächerlich!« stotterte Orville, »dieser Mensch weiß nicht, was er redet.«
    »Und warum greifen Sie so nervös in die Tasche?« fragte Wilbur mit einem spöttischen Blick auf den Gegner, »wollen Sie etwa das Fläschchen wo anders in Sicherheit bringen? Das geht in unserer Gegenwart leider nicht.«
    »Zeig doch mal, was du da in der Tasche hast!« sagte die alte Dame, erhob sich wieder und trat auf den Neffen zu.
    »Mein Gott – eine Medizin, die ich eben geholt habe!« erwiderte Orville mit schwankender Stimme und zeigte notgedrungen das Fläschchen vor.
    »Medizin?«
    »Ja.«
    Mrs. Kennedy griff nach der Flasche, die ihr Neffe krampfhaft umklammert hielt. »Gib mal her!«
    Orville zuckte zusammen. »Ich denke gar nicht daran!«
    »Aber ich bitte dich, Orville – wenn es sich wirklich um eine Medizin handelt – warum willst du mir die kleine Flasche nicht geben?«
    »Was willst du damit?«
    Die Tante blickte ihn stechend an. »Ich will die Medizin untersuchen lassen.«
    Orvilles Blick sprühte Funken. »Hat dieser Kerl etwa wirklich dein Mißtrauen wachgerufen?« entfuhr es ihm.
    »Gib die Flasche her!«
    »Nein!«
    »Also muß ich tatsächlich annehmen – daß es Gift ist.«
    »Medizinen sind häufig Gift, Tante Mary!«
    Flammenblitze loderten aus den Augen der alten Frau, die sonst so gütig dreinschauen konnte. »Entferne dich!« herrschte sie Orville an, »und komme mir vorläufig nicht mehr unter die Augen!«
    Merkwürdig: Orville ging ohne ein Wort der Erwiderung.
     
    Wilbur saß Mrs. Kennedy gegenüber. Die alte Dame befand sich in einem Erregungszustand, der ernste Befürchtungen aufkommen ließ. Sie mußte vorzeitig einige Tropfen ihrer, das Herz beruhigenden, Medizin zu sich nehmen. Tagelang kam sie sonst ohne die Tropfen aus.
    Langsam, bedeutungsvoll, jedes Wort scharf betonend, bemerkte sie, zu ihrem Besucher gewendet:
    »Ich glaube wohl, daß Sie mir noch eine Erklärung schuldig sind, Mister – wie war doch Ihr Name?«
    Wilbur erhob und verneigte sich. »Taft. Wilbur Taft. – Jawohl, eine Erklärung. – Sie besitzen vier Millionen Dollar, Madame. Orville, Ihr Neffe, und Gloria, Ihre Nichte, die Stieftochter Ihres verstorbenen Bruders John, sind Ihre einzigen Erben.«
    Die alte Dame stellte das Glas, aus dem sie eben getrunken hatte, mit einer hastigen Bewegung auf den Rauchtisch zurück. »Ich sehe«, erwiderte sie, »daß Sie gut unterrichtet sind. Fahren Sie fort!«
    »Ihr Neffe Orville ist stark verschuldet. Sie haben ihm in letzter Zeit mehrfach aus der Bedrängnis geholfen – ja, Sie opferten sogar eine beträchtliche Summe. Gleichzeitig erklärten Sie ihm aber auch, daß dies die letzte Hilfe gewesen sei. Er solle nun zusehen, daß er als Techniker etwas leiste.«
    Die alte Frau nickte zustimmend. »Ja. Ich wundere mich – Sie scheinen genau im Bilde zu sein.«
    »Seit vorgestern Abend hegt er die Absicht, Sie mit Hilfe von Gift zu ermorden, damit er so bald wie möglich Ihre Erbschaft antreten kann.«
    Jede Muskel in den Zügen der alten Dame war angespannt. »Und woher wissen Sie das? Kommen
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