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Die Gewürzhändlerin

Die Gewürzhändlerin

Titel: Die Gewürzhändlerin
Autoren: Petra Schier
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ansprechendste Physiognomie den meisten Frauen nicht ausreichte, wenn sie gewahr wurden, wie verunstaltet der Rest seines Körpers war. Die Käuflichen ließen sich zumeist nichts anmerken, wenn er sie gut genug bezahlte, doch war ihm keine der Frauen heute Abend angenehm genug gewesen, um eine derartige Geldausgabe zu rechtfertigen.
    Also hatte er sich in sein Kämmerchen zurückgezogen und Alban mit den Weibern allein gelassen.
    Nachdenklich betrachtete Martin den steifen kleinen Finger an seiner rechten Hand. Es hatte Jahre gedauert, bis er wieder gelernt hatte, mit dieser Hand einen Griffel oder eine Feder zu halten. Lange Zeit hatte er nur mit der linken Hand geschrieben, sein Fleisch geschnitten oder auch, wenn es nötig gewesen war, die Faust geschwungen. Noch heute war seine Linke weitaus effektiver und kraftvoller als seine Rechte.
    Er gähnte. Zwar war es noch nicht spät, aber das beständige Trommeln des Regens vor dem Fenster wirkte einschläfernd. In der Gaststube begann jemand, auf einer Fidel zu spielen. Ziemlich schräger Gesang der bereits Betrunkenen setzte ein. Grinsend richtete Martin sich auf und streifte sein Wams ab, dann zog er sich das Hemd über den Kopf; die Hose behielt er an.
    Die dünne Wolldecke, unter die er schlüpfte, roch ein wenig rauchig – weiß der Himmel, wo der Herbergswirt sie lagerte. Doch lieber Rauch als Schweiß, überlegte er und spielte gedankenverloren mit der silbernen Kette, die er um den Hals trug. Sie war mit roten und blauen Edelsteinen besetzt: ein Erbstück, das ihn stets daran erinnerte, dass er vor zwei Jahren einen Plan gefasst hatte, den er nicht hatte ausführen können.
    * * *
    «Frau Jutta weigert sich, die Mantenburg für den Winter zu verlassen», knurrte Johann und drückte Elisabeth den Brief in die Hand, den ein Bote soeben überbracht hatte. Er hatte das Schriftstück in seine kleine Schreibstube mitgenommen, und Elisabeth war ihm auf dem Fuße gefolgt, um die Neuigkeiten ebenfalls zu erfahren. «Sie will zum Jahrmarkt herkommen und danach umgehend wieder nach Hause zurückkehren.»
    Elisabeth nickte, warf aber nur einen kurzen Blick auf den Brief. «Wird sie den kleinen Notker mitbringen? Und kommt Adele auch mit?»
    Ungehalten starrte Johann seine Gemahlin an. «Hast du mir überhaupt zugehört? Ich sagte, Jutta will nicht für den Winter in unser Haus ziehen.»
    Elisabeth lächelte. «Ich habe dir sehr wohl zugehört. Deshalb frage ich ja, ob wir Notker und Adele vor dem Winter noch einmal wiedersehen werden.» Bevor Johann etwas erwidern konnte, ergriff sie seine Hand. «Ich weiß ja, dass du dich um deine Stiefmutter sorgst. Aber es geht ihr doch gut, oder nicht? Seit dein Vater gestorben ist, kümmert sie sich hervorragend um die Ländereien. Damit nimmt sie dir eine Menge Arbeit ab. Es ist doch nur natürlich, dass sie auch im Winter auf der Mantenburg bleiben möchte, um nötigenfalls erreichbar zu sein. Sie kümmert sich eben gern selbst um alles.»
    «Hier in Koblenz hätte sie es angenehmer», brummelte Johann. «Der letzte Winter war hart, und wenn es dieses Jahr wieder genauso viel Schnee gibt …»
    «Dann ist sie auf der Mantenburg trotzdem bestens versorgt», unterbrach Elisabeth ihn. «Sie legt eben keinen so großen Wert auf die Annehmlichkeiten eines Stadthauses. Also was ist nun, bringt sie deine Geschwister mit, oder muss ich den ganzen Brief selbst lesen, um das herauszufinden?» Auffordernd legte Elisabeth den Kopf auf die Seite und veranlasste ihren Gemahl so zu einem ergebenen Seufzen.
    «Sie bringt sie beide mit. Im Oktober wird Adele dann für einige Wochen nach Kempenich reisen und danach zusammen mit der Edeljungfer Gertrud zu deren Eltern gebracht werden.»
    «Wie lange wird sie dort bleiben?»
    Johann hob die Schultern. «Ein Jahr, vielleicht auch zwei. Sie soll sich dort möglichst heimisch fühlen, wenn Gertruds Bruder Harro von seinem Knappendienst beim Herzog von Jülich zurückkehrt. Das wird die angestrebte Eheschließung hoffentlich erleichtern und für beide Seiten angenehmer machen.»
    Elisabeth nickte zustimmend. «Adele kennt Harro aber doch schon, nicht wahr? Sind sie einander nicht bereits vorgestellt worden?»
    Nun lächelte Johann zum ersten Mal. «Sie haben als Kinder einmal einen Sommer zusammen auf der Mantenburg verbracht. Harro war damals gerade acht Jahre alt und sollte im darauffolgenden Herbst seinen Pagendienst bei den Jülichern antreten. Adele, die fünf Jahre alt war, hing ihm an den
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