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Die Gesichtslosen

Die Gesichtslosen

Titel: Die Gesichtslosen
Autoren: Amma Darko
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bestanden, daß die Mutter meines Freundes so lange Kinder gebärt, bis ein Sohn gekommen wäre.»
    «Wirklich?»
    «Ja. Und deshalb wird mein Freund nie von seiner Mutter bestraft. Wenn du möchtest, rufe ich ihn morgen, wenn du mich zur Schule bringst, dann kannst du ihn selbst fragen.»
    Kabria lehnte dieses Angebot dankend ab, erklärte ihrem Sohn, daß er sehr wohl besonders sei, genau wie seine beiden Schwestern, aber ganz bestimmt nicht, weil er ein Junge war. Und er wäre genauso besonders, wenn er als Mädchen auf die Welt gekommen wäre.
    Und dann gab es noch Adade, der jeden Morgen genau um sechs Uhr aufstand. Nicht eine Minute früher und eine geschlagene Stunde später als Kabria. Seine Erwartung, einen gedeckten Frühstückstisch vorzufinden, nachdem er das Badezimmer dreißig Minuten lang okkupiert und weitere fünfzehn Minuten gebraucht hatte, um sich anzuziehen, wurde von Kabria stets erfüllt. Ohne Zeitung setzte er sich nie an den Frühstückstisch. Das wäre für Adade so gewesen, als würde er die Schuhe ohne Socken anziehen. Er las lieber eine Zeitung, die er bereits gelesen hatte, ein zweites Mal, als ohne Lektüre am Tisch zu sitzen. Nach dem Motto: Alte Nachrichten sind immer noch besser als gar keine. Und wenn Kabria ihn etwas fragte, bekam sie höchstens ein Nicken oder Kopfschütteln anstatt einer Antwort. Manchmal stellte sie sich aber stur und ließ erst dann locker, wenn sie ihn dazu gebracht hatte, den Mund aufzumachen. Doch die oftmals kurze und lakonische Antwort lohnte den Aufwand eigentlich gar nicht.
    Nach der Arbeit ging Adade normalerweise noch mit seinen Freunden etwas trinken. «Um zu entspannen», wie er es ausdrückte. «Das braucht jeder Mann, um normal zu bleiben.»
    Kabria fragte sich oft, wer von ihnen beiden dringender Entspannung nötig hätte. Immer, wenn sich Adade aufmachte, um zu entspannen, holte sie die Kinder von der Schule ab, hetzte nach Hause, zog sich um und bereitete das Abendessen vor. Um sich jeden Abend, wenn er von der Entspannung nach Hause gekommen war, den gleichen Satz anzuhören: «Ach, Kabria, bin ich müde!»
    Und schließlich war da noch Creamy. Dieses Auto war unzählige Male in fast jeder Werkstatt von Abeka bis Zongo gewesen und hatte alle Arten von Operationen sowohl an den inneren Organen als auch Schönheitsoperationen durchgemacht, so daß es gegen beides immun geworden zu sein schien. Creamy! Dieser Name war Kabria so ans Herz gewachsen, daß sie eines Tage sogar Adade durch ihre grenzenlose Empörung schockierte, als dieser gewagt hatte, daran zu rütteln. Es geschah nach einer von Creamys zahlreichen Schönheitsoperationen, die ihn so tätowiert zurückließ, daß er unbedingt neu gespritzt werden mußte. Von ihrem erbärmlichen Gehalt konnte Kabria wahrhaftig nichts mehr abzwacken, also bat sie Adade um Hilfe.
    «Kriegst du kein Gehalt?» fragte Adade.
    «Jetzt werde bloß nicht sarkastisch», entgegnete Kabria. «Wenn ich Zeit gehabt hätte, mich weiterzubilden so wie du, würde ich vielleicht jetzt auch davon profitieren und mehr verdienen. Aber ich war damit beschäftigt, Kinder zu kriegen. Du erinnerst dich?»
    Das war eine Diskussion, der Adade stets aus dem Weg zu gehen versuchte. «Okay», sagte er, damit sie den Mund hielt. Doch es verging ein Tag und noch ein weiterer, dann noch einer, aber es kam kein Wort oder Angebot mehr. Am vierten Tag rief sich Kabria ins Bewußtsein, wieviele Flaschen Bier im Namen der Entspannung täglich draufgingen, und suchte Adade in seinem schicken Büro auf. Tuuut, tut, tut! Creamys wütender Motor und Auspuff kündigten seine tätowierte Ankunft an. Und Kabria parkte wild entschlossen genau neben Adades brandneuem Toyota Corona, den er sich mit Hilfe eines Kredits seines Arbeitsgebers angeschafft hatte. Als Adade seine Frau und ihr Auto entdeckte, wäre er am liebsten im Erdboden versunken. Und es sollte noch schlimmer kommen. Kabria begrüßte alle Arbeitskollegen Adades mit lautem, fröhlichem Hallo, und als sie sämtliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, sprang sie schwungvoll zurück ins Auto und fuhr wieder davon – tuut, tut tut, fröhlich hupend, wie sie gekommen war. Ihr kleiner Coup zahlte sich aus. Adade kam an diesem Abend mit einem Eimer Autolack nach Hause.
    «Ist das cremefarben?» fragte Kabria.
    Adade warf ihr einen vernichtenden Blick zu.
    «Was ist das für eine Farbe?»
    «Blau!»
    «Blau?»
    «Ja. Metallic-meerblau.»
    «Und das soll ‘ne Farbe sein?»
    «Was soll
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