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Die Gesellschaft des Abendsterns

Die Gesellschaft des Abendsterns

Titel: Die Gesellschaft des Abendsterns
Autoren: Brandon Mull
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hatte, und sie war dankbar dafür, dass sie nun ihrer gerechten Strafe zugeführt wurde. Aber die lange Gefangenschaft in der Stillen Kiste schien ihr ein sehr hoher Preis, selbst für das grauenhafteste Verbrechen. Trotzdem hatte der Sphinx Recht —man konnte Vanessa nicht gestatten, noch länger Kontrolle über alle auszuüben, die sie gebissen hatte.
    Sie trafen Oma in der Küche und gingen gemeinsam in den Kerker hinab, wo Mr. Lich Vanessa aus ihrer Zelle eskortierte, mit einem festen Griff an ihrem Oberarm. Der Sphinx nickte ernst. »Einmal mehr trennen sich unsere Wege«, sagte er. »Hoffentlich wird unsere nächste Begegnung unter weniger traurigen Umständen stattfinden.«
    Tanu, Coulter, Dale und Warren hatten sich gegen eine Teilnahme entschieden, und so machte sich die kleine Gruppe schweigend auf den Weg zu ihrem Bestimmungsort. Mr. Lich ging mit Vanessa voran, so dass Kendra ihr Gesicht nicht sehen konnte. Vanessa trug einen von Omas alten Hausmänteln, aber sie hielt den Kopf hoch erhoben.
    Es dauerte nicht lange, bis sie den hohen Kasten erreichten, der Kendra an Zauberer erinnerte, die liebreizende Assistentinnen
verschwinden ließen. Der Sphinx drehte sich zu ihnen um. »Ich möchte noch ein letztes Mal betonen, welch vorbildlichen Mut und welch große Charakterstärke ihr alle bewiesen habt, indem ihr diesen abscheulichen Versuch, ein potenziell sehr gefährliches Artefakt zu stehlen, vereitelt habt. Kendra und Seth, ihr beide wart bemerkenswert tapfer. Mit Worten allein kann ich meine aufrichtige Bewunderung und Dankbarkeit gar nicht zum Ausdruck bringen. Nach dem Gefangenenaustausch werden Mr. Lich und ich in aller Eile abreisen müssen. Seid versichert, dass wir sowohl das Artefakt als auch den Gefangenen aus der Stillen Kiste an einen Ort von angemessener Sicherheit bringen werden. Sobald alles erledigt ist, werden wir Sie, Stan, telefonisch davon unterrichten. Wenn der Gefangene aus der Stillen Kiste kommt, dann gebt bitte keinen Laut von euch, bis wir fort sind. Ich bin von Natur aus vorsichtig, und es wäre mir lieber, er würde eure Stimmen nicht hören und auch sonst keine Hinweise darauf erhalten, wer ihr seid.«
    Der Sphinx drehte sich zu Vanessa um. »Haben Sie noch irgendetwas zu sagen, bevor Sie am eigenen Leib erfahren, warum wir dies die Stille Kiste nennen? Doch sehen Sie sich vor — jede Äußerung, die über Ihre Lippen kommt, sollte besser eine Entschuldigung sein.« In seiner Stimme lag ein drohender Unterton.
    Vanessa sah sie alle der Reihe nach an. »Ich entschuldige mich für meinen Verrat. Ich habe niemals einem von euch körperlichen Schaden zufügen wollen. Eine falsche Freundschaft ist etwas Schreckliches. Kendra, auch wenn du es vielleicht nicht glaubst, ich bleibe deine Brieffreundin.«
    »Genug«, sagte der Sphinx. »Keine falschen Treuebekundungen mehr. Wir alle bedauern Ihr Schicksal und wünschen, Sie hätten dieses schreckliche Schicksal nicht über sich gebracht. Sie haben versucht, verbotenes Wissen an
sich zu bringen, und auf mehrere Arten unverzeihlichen Verrat begangen. Ich habe Ihnen vertraut, aber das ist jetzt unwiderruflich vorbei.«
    Der Sphinx öffnete die Kiste. Das Innere war mit purpurfarbenem Filz ausgekleidet. Die Kiste war leer. Seth reckte den Hals, dann warf er Kendra einen verwirrten Blick zu. Wo war der Gefangene?
    Mr. Lich führte Vanessa in die Kiste. Ihr Blick war kalt, doch ihr Kinn zitterte. Der Sphinx schloss die Tür, und die Kiste drehte sich um hundertachtzig Grad um ihre Längsachse. Mr. Lich öffnete eine weitere Tür, sie sah genauso aussah wie die erste, und auch der Innenraum war identisch. Aber darinnen befand sich nicht Vanessa.
    Stattdessen stand in der Kiste eine von oben bis unten in Sackleinen gehüllte Gestalt. Ein grober, mit eng anliegenden Ketten an seinem Hals befestigter Sack bedeckte den Kopf des Mannes. Die Arme waren ihm mit dicken Seilen an den Körper gebunden. Fußeisen hielten seine Knöchel.
    Mr. Lich legte dem mysteriösen Gefangenen eine Hand auf die Schulter und führte ihn aus der Kiste heraus. Der Sphinx schloss die Tür. Dann sahen Kendra, Seth, Oma und Opa dabei zu, wie der Gefangene zwischen dem Sphinx und Mr. Lich den Flur entlangschlurfte. Oma legte tröstend einen Arm um Kendra und drückte sie an sich.
     
    In dieser Nacht fand Kendra keinen Schlaf. Ihre Gedanken kreisten um die Ereignisse der vergangenen Tage. Sie hatten so viel durchgemacht, dass es schien, als wäre sie vor einer Ewigkeit
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