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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
Autoren: Lion Feucht Wanger
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um zwei Uhr wie jeden Tag traf Martin in seiner Wohnung ein, die an der Corneliusstraße im Tiergartenviertel gelegen war. Er wechselte Rock und Kragen, es mußte ein Unterschied sein zwischen Privatleben und Geschäft. Dann ging er in den Wintergarten. Der Wintergarten war ein großes, repräsentativ und etwas banal eingerichtetes Zimmer; Martin hielt darauf, auch in seiner Privatwohnung Oppermann-Möbel zu verwenden.
    Er fand Frau und Sohn in regem Gespräch. Der siebzehnjährige Berthold war manchmal etwas wortkarg wie der Vater und ließ, obwohl er gut und lebhaft zu reden verstand, Dinge, die ihm am Herzen lagen, nur ungern ans Licht. Martin freute sich, ihn heute redselig zu finden.
    Liselotte unterbrach den Sohn, als Martin eintrat. Über dem hochgeschlossenen Kleid drehte sie ihm ihr großes, helles Gesicht zu, lächelnd: »Wie geht es dir, mein Lieber?« – »Danke, gut,« erwiderte Martin, und »Hallo, mein Junge«, sagte er zu Berthold und lächelte, auch er. Aber Liselottensgraue, längliche Augen hatten in den achtzehn Jahren ihrer Ehe gelernt, in dem Gesicht des Mannes zu lesen. Er liebte es nicht, innerhalb der Familie von Berufsdingen zu sprechen; auch ohne daß er sprach, wußte sie, daß er jetzt, heute, inmitten von wichtigen Aktionen stand.
    Man setzte sich zu Tisch. Berthold erzählte angeregt. Der Siebzehnjährige hatte in dem fleischigen Gesicht des Vaters die grauen, kühnen Augen der Mutter. Heute schon fast so groß wie der Vater, wird er ihn, ausgewachsen, um einen halben Kopf überragen.
    Er sprach von Schulereignissen. Der Ordinarius der Klasse, Dr. Heinzius, war vor einigen Tagen durch einen Autounfall umgekommen, und nun erteilte provisorisch der Leiter der Anstalt, Rektor François, der Unterprima den Unterricht in den Lehrfächern des Verstorbenen, in Deutsch und Geschichte. Dies waren Bertholds Lieblingsfächer – wie sein Onkel Gustav liebte er Sport und Bücher –, und mit Dr. Heinzius hatte er sich ungewöhnlich gut verstanden. Es war nun an dem, daß ihm für den freien Vortrag, den jeder Schüler der Unterprima einmal im Jahr halten mußte, Dr. Heinzius ein besonders schwieriges Thema zugestanden hatte: »Der Humanismus und das zwanzigste Jahrhundert«. Wird man ihn jetzt, nach dem Tode des verehrten Lehrers, diesen Vortrag halten lassen? Und wird er ohne die Hilfe des wohlwollenden Dr. Heinzius mit dem »Humanismus« zu Rande kommen? Rektor François hatte ihm erklärt, er persönlich habe nichts gegen das Thema, er wolle aber der Entscheidung eines neuen Klassenlehrers nicht vorgreifen, der wohl in der nächsten Woche den Unterricht übernehmen werde.
    »Ich habe mir da allerhand zugemutet«, meinte Berthold. »Der Humanismus ist ein verflucht hartes Problem«, versicherte er, nachdenklich, mit tiefer Stimme. »Vielleicht wählst du doch ein weniger allgemeines Thema«, riet Martin. »Vielleicht etwas über einen modernen Autor«, schlug Liselotte vor und schickte ihrem Sohn aus ihren grauen, länglichen Augen einen aufmunternden Blick zu. Martin wunderte sich.In der Schule über moderne Literatur zu sprechen, war das nicht heikel? Im Grunde waren Martin und Liselotte gewöhnlich einer Meinung. Aber sie, die Christin, die Tochter der alten preußischen Beamtenfamilie der Ranzow, schlug oft den radikaleren Ton an.
    Martin wechselte das Thema. Erzählte, daß er nach dem Mittagessen Jacques Lavendel erwarte. Das brachte Berthold schnell vom »Humanismus« ab. Vielleicht kann jetzt er den Wagen benutzen. Vater ist ein beflissener Geschäftsmann und kutschiert den ganzen Tag herum; sehr selten, daß Berthold einmal den Wagen für sich haben kann. Die Gelegenheit darf er nicht vorübergehen lassen. Er könnte beispielsweise auf den Sportplatz am Sachsendamm hinausfahren, zum Fußballtraining. Das wäre ein guter Vorwand. Der Spaß kostete allerdings an die drei Stunden, die er eigentlich für den »Humanismus« bestimmt hat. Quatsch. Zeit für den »Humanismus« kann er immer herausschinden; wann er den Wagen wieder wird herausschinden können, weiß kein Mensch.
    Sowie also das Mittagessen zu Ende ist, verabschiedet sich Berthold von den Eltern. Er telefoniert seinem Schulkameraden Kurt Baumann, fordert ihn auf, er möge sich am Halleschen Tor mit ihm treffen, um zum Sportplatz am Sachsendamm hinauszufahren. Kurt Baumann ist nicht begeistert. Der Radioapparat ist kaputt, er hat ihn zerlegt, er will der Sache auf den Grund kommen, das erfordert Zeit. Allein Berthold läßt nicht
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