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Die Geschichte von Liebe und Sex

Titel: Die Geschichte von Liebe und Sex
Autoren: Lutz van Dijk
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Giovanni liebt seinen Großvater sehr. Der hat eine kranke Lunge von den vielen Jahren im Bergwerk und hustet viel, aber er strahlt eine Ruhe aus, die Giovanni bei seinen Eltern vermisst. Vor kurzem hat Giovanni beschlossen, einen Volkshochschulkurs zu besuchen, um Italienisch zu lernen. Um besser mit seinem Großvater reden zu können – und ihm eine Freude zu machen. Giovanni berichtet:
    »Vor einiger Zeit haben wir in der Schule über die Ursprünge unserer Familien gesprochen, also, wo wir genau herkommen und so was alles. Da habe ich auch von meinem Opa berichtet, dass der aus Norditalien kommt, sich hier in Deutschland kaputtgeschuftet hat, aber ganz viel weiß von der Welt. Vor den Ferien hat unsere Lehrerin vorgeschlagen, dass wir einige unserer Großeltern in die Schule einladen sollten, damit sie uns aus ihrem Leben erzählen. Erst kam die Oma von Mark, die wir nicht so toll fanden, weil sie sagte, was so viele alte Leute erzählen – eben das früher alles besser war und all diesen Unsinn.
    Aber dann kam mein Opa dran. Dazu musst du wissen, dass in meiner Klasse echt alle Religionen vertreten sind. Unsere Familie ist natürlich katholisch, mein bester Freund Abdul ist Muslim und er sitzt neben Gina, die sagt, dass sie gegen Religionen überhaupt ist, weil die nur den Hass zwischen den Menschen predigen. Ihre Mutter kommt ebenfalls aus einer italienischen Familie, aber der Vater ist Deutscher und in der Gewerkschaft aktiv. Und Gina hat sich als Erste gemeldet. Sie hat ihn gefragt: ›Wenn Sie auf Ihr langes Leben zurückblicken – was war das Schönste in Ihrem Leben?‹
    Und Großvater hat sie eine Weile freundlich angeschaut und dann leise, aber noch laut genug, dass alle es hören konnten, geantwortet: ›Amore!‹
    |38| Gina hat zurückgeschaut und wir haben gewartet, was nun kommen würde. Und da hat er erst wieder gehustet, aber dann in einem Stück geredet, mit seiner tiefen Stimme, die ich so mag:
    ›Am Ende von meinem Leben ist so vieles unwichtig geworden, was mir früher wichtig war – und dafür weniges umso wichtiger, an das ich früher nur selten dachte. Ich bin so erzogen, dass die Liebe zwar etwas Großes und Heiliges ist, aber nichts Menschliches, nichts Einfaches, nichts, das dafür da ist, um uns einfach glücklich zu machen und weniger einsam.
    Meine ersten Gefühle von Liebe? Da war ich elf oder höchstens zwölf. Bei uns in der Straße wohnte ein Mädchen, die war zwei Jahre älter als ich und so schön. Ich schaute immer aus dem Fenster unserer Wohnung im zweiten Stock, wenn ich sie die Straße entlangkommen sah. Sie hatte dunkle kurze Haare, braune Augen und schaute meist ernst. Aber sie bewegte sich so toll. Sie tanzte mehr, als dass sie ging. Und eine Weile dachte ich: Das Leben ist schön … das Leben ist schön, wenn ich sie nur einmal am Tag anschauen kann.
    Dann bemerkte ich, wie ich von ihr nachts zu träumen begann. Und wenn ich aufwachte, war ich erregt und …‹ Er zögerte einen Moment, aber sprach es dann doch aus ›… ich war überzeugt, ich hatte eine große Sünde begangen. So hatte ich es von meinem Eltern und dem Priester in der Kirche verstanden. Dass es eine Sünde ist, so an ein Mädchen zu denken. Dass man ein schlechter Mensch werden und Gott einen strafen würde, wenn man nicht alles am Sonntag beichten würde.
    Und wisst ihr was? Ich habe viel in meinem Leben gebeichtet. Damals und auch später noch. Aber ich habe niemals meine Glücksgefühle gegenüber jenem Nachbarsmädchen gebeichtet. Und heute, wo ich so alt bin und so vieles vergessen habe, denke ich noch immer mit tiefer Freude an jenes erste Glück zurück.‹
    Dann musste er wieder husten. Aber als er aufhörte, war es ganz still in der Klasse, und alle schauten meinen Großvater ernst und irgendwie zufrieden an.«

*
Interview mit dem Autor, Dortmund 2005.

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